Tote Esel treten besser
Die internationale Unterstützung für Sanktionen gegen den Irak nimmt ab. Die Kurden im Norden des Landes befürchten eine militärische Eskalation, die nur Saddam Hussein zugute käme.
von thomas von der osten-sacken und thomas uwer
Seit dem Scheitern der "intelligenten Embargopolitik" gegenüber
dem Irak sieht sich die US-Regierung erneut genötigt, Konzepte für
eine Veränderung der Situation im Irak vorzulegen. Eine gemeinsame Haltung
zu den Sanktionen konnte der UN-Sicherheitsrat schon Anfang Juni nicht finden.
Mittlerweile droht Russland offen mit einem Veto gegen den von der britischen
Regierung vorgelegten Plan einer Revision des Embargos.
Der britisch-amerikanische Entwurf sieht vor, dem Irak freien Handel mit zivilen
Waren zu erlauben, zugleich aber mit größerer Entschlossenheit gegen
die Einfuhr so genannter dual use-Güter vorzugehen, jenem als zivil deklarierten
Material, das die irakische Rüstungsindustrie zum Aufbau ihres chemischen
und biologischen Arsenals benötigt. Die illegalen Geschäfte der Clique
um Saddam Hussein - allein der Ölschmuggel mit den Nachbarländern
bringt jährlich über zwei Milliarden Dollar ein - sollen durch legalen
und damit kontrollierbaren Handel ersetzt werden.
Nachdem nun alle Versuche gescheitert sind, die europäischen Länder,
Russland, China und die arabischen Staaten von diesen smart sanctions zu überzeugen,
fällt die Irak-Politik der USA in jenen Zustand der Planlosigkeit zurück,
der sich bereits beim Bombardement Bagdads im Februar dieses Jahres abgezeichnet
hat (Jungle World, 10/01).
Ein guter Grund für Saddam Hussein, sich als Sieger zu feiern. Die smart
sanctions, so verkündete er, seien "der letzte Tritt eines sterbenden
Esels". Deutlicher noch wurde der nach New York entsandte Sprecher des
irakischen Außenministeriums Riyadh al-Qaysi, der vor der UN-Vollversammlung
erklärte, ihre Verteter im Irak seien "vollgefressene Garfields",
die sich um die Fortpflanzung von Minenräumhunden im Nordirak mehr sorgten
als um das Wohl irakischer Kinder. Seine Regierung werde sich auch in Zukunft
vehement gegen alle "neokolonialen Eingriffe" zur Wehr setzen.
Gestärkt von seinem engsten Verbündeten Russland, kündigt Saddam
Hussein einmal mehr den Showdown mit den USA an. Man erwarte, hieß es
in der vergangenen Woche, eine "entscheidende Schlacht". Die arabische
Tageszeitung Al-Hayat meldete, der Irak habe zwei neue unterirdische Gebäudekomplexe
fertig gestellt, wohin im Falle eines neuen Krieges wichtige Regierungsstellen
verlegt werden sollen.
Seit einigen Monaten bereits verschärft die irakische Regierung den Konflikt
mit den USA. Erneut werden die Patrouillenflüge vom irakischen Abwehrradar
erfasst, weshalb amerikanische und britische Flieger die Radarstellungen unter
Beschuss nehmen. Nachdem der Sicherheitsrat das so genannte Oil-for-Food Programm,
das dem Irak Ölverkäufe unter UN-Aufsicht erlaubt, nur bis zum 3.
Juli verlängert hatte, stellte das Regime Mitte Juni alle legalen Ölverkäufe
ein. Der Versuch, auf diese Weise den Ölpreis in die Höhe zu treiben,
ist zwar gescheitert. Iraks Nachbarländer Jordanien, Syrien und die Türkei
aber, die größtenteils von irakischem Öl abhängig sind,
betrachten die Entwicklung mit Sorge.
Nachdem das Scheitern des bisherigen Sanktionsregimes gegen den Irak deutlich
geworden ist, wirbt Russland offen für eine Aufhebung des Embargos und
die Abschaffung der Flugverbotszonen im kurdischen Nordirak und im mehrheitlich
von Schiiten bewohnten Südirak. Frankreich und China setzen sich unter
Vorbehalten für das gleiche Ziel ein, da sie ein berechtigtes Misstrauen
gegenüber dem Regime hegen, das sich nur durch die Verletzung aller Vereinbarungen
und Verträge am Leben halten kann.
In der vergangenen Woche meldete sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie
zu Wort. Sein Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg erklärte
nach Angaben der FAZ unzufrieden, Deutschland würde heute für 270
Millionen Mark in den Irak exportieren. Dass es trotz der geltenden Sanktionsregelung
mehr sein könne, zeige Frankreich, das für drei bis vier Milliarden
Mark in den Irak exportiere. Im Handelsblatt sagte von Wartenberg, die Bundesregierung
solle wieder einen deutschen Bortschafter nach Bagdad entsenden.
In der Region selbst bereiten sich vor allem die Türkei und der Iran auf
einen Wandel vor. Wie dieser bei einer fortdauernden Herrschaft Saddam Husseins
aussehen könnte, ist allerdings unklar. Zukunftsszenarien werden derzeit
vor allem für den seit nunmehr zehn Jahren selbst verwalteten kurdischen
Nordirak entworfen, den beide Länder als Freihandelszone nutzen und wo
sie sich politisch einmischen. Die Region, die nach wie vor integraler Bestandteil
irakischen Territoriums ist, könnte zum ersten Opfer der Rehabilitation
des Bagdader Regimes werden, das an seinem Herrschaftsanspruch auf den Nordirak
festhält. Nur durch eine Flugverbotszone geschützt, die sich über
die Hälfte der Region erstreckt, fürchten die Kurden zu Recht, wieder
einmal strategischen Interessen zum Opfer zu fallen.
Seitdem das irakische Flugabwehrsystem mit chinesischer Hilfe modernisiert wurde,
haben die USA ihre Kontrollflüge über dem Gebiet drastisch eingeschränkt.
Der Nordirak könnte nun auch Ansatzpunkt für eine neue Irak-Politik
des US-Außenministeriums werden. Eine US-Delegation befindet sich derzeit
in der Region, um über die Zukunft der kurdisch-amerikanischen Kooperation
zu verhandeln. Dort haben sich die über Jahre verfeindeten irakischen Kurdenparteien
unter Vermittlung der Türkei auf eine Zusammenarbeit geeinigt, die mit
der Ausschaltung der PKK im Nordirak erkauft wurde.
Die Region wird so zu einem potenziellen Zentrum der Auseinandersetzung mit
dem Irak. Vergangene Woche meldeten kurdische Medien aus dem Nordirak den Aufmarsch
von 10 000 Soldaten der gefürchteten Republikanischen Garden. Sie sehen
einen direkten Zusammenhang mit der Warnung Saddam Husseins vor einem neuen
Krieg. Sollten irakische Truppen die Demarkationslinie überschreiten, wären
die USA gezwungen, militärisch zu reagieren, ohne ein Mandat der UN zu
besitzen. 1996 führte eine ähnliche Situation zu einer weitgehenden
Diskreditierung der amerikanischen Schutzversprechen gegenüber den Kurden.
Auf einen kurzfristigen Einmarsch irakischer Truppen in die Stadt Arbil reagierten
die USA erst nach 48 Stunden, indem sie Militärstellungen im Zentralirak
mit Marschflugkörpern beschossen.
Die Verabschiedung der smart sanctions würde die Wahrscheinlichkeit einer
Eskalation noch erhöhen. Saddam Hussein wäre dann, so der Publizist
Eamad Mozori, des für seine internationale Rehabilitation wichtigsten Arguments
beraubt, "dass das Leiden der irakischen Bevölkerung dem Embargo und
nicht der Politik des eigenen Regimes geschuldet sei". Eine Eskalation
im Norden dürfte jede weitere Diskussion in den UN-Gremien verhindern,
Saddam Hussein könnte weiterhin die internationale Unterstützung der
amerikanischen Irak-Politik schwächen.
Auch im Iran ist die Diskussion über die zukünftige Entwicklung im
Irak entbrannt. In führenden Zeitungen wird mittlerweile eine Schutzzone
für Schiiten gefordert. Erstmals erklärte zudem der arabischen Zeitung
Al-Zaman zufolge ein Beamter des iranischen Außenministeriums, der Iran
würde einen eigenständigen kurdischen Staat auf bisher irakischem
Territorium anerkennen. Der Iran arbeite an der notwendigen Aufteilung des Irak.
Bislang hatte man in Teheran die "territoriale Integrität" des
Irak nicht in Frage gestellt.
Wie die Türkei versucht der Iran, sich auf zwei gleichermaßen unerwünschte
Möglichkeiten einzurichten: sowohl auf einen erstarkten Hussein wie auf
eine von den USA gestützte kurdische Entität, die irgendwo zwischen
einem Protektorat und einer Freihandelszone angesiedelt wäre.
Das wird die irakische Führung allerdings kaum akzeptieren. Dem Wiedereinmarsch
irakischer Truppen würde eine kurdische Massenflucht folgen, die alle angrenzenden
Länder destabilisieren könnte. So stehen die beiden Regionalmächte
vor dem Dilemma, dass sie zwar das gegenwärtige Embargoregime ablehnen,
zugleich aber fürchten müssen, dass ein rehabilitierter Saddam Hussein
das instabile Kräfteverhältnis in der Region von Grund auf verändert.
Und wenn Saddam Hussein aus der momentanen Eskalation als Sieger hervorgehen
sollte, wäre er zudem erneut ein unbestrittener Held der arabischen Massen
in jenen Ländern, die noch Teil der zerfallenden Pax Americana im Nahen
Osten sind.
In: jungle world 28/2001 v. 4. 7. 2001