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»Sensibler Dialog«

Genitalverstümmelung wird bis heute als »Tradition« und »Kultur« verharmlost.

von Sanja Stankovic

http://www.jungle-world.com/

An jedem Tag werden schätzungsweise 8?000 Mädchen Opfer von Genitalverstümmelung. Die UN, die WHO, viele Menschenrechtsorganisa­tionen, aber auch deutsche Politkerinnen und Politiker und die Bundesregierung bezeichnen heute die weibliche Genitalverstümmelung als schwere Gewalttat und Menschenrechtsverletzung. Trotzdem herrscht noch immer überwiegend die Auffassung, es handle sich dabei um eine »Tradition«, in die sich der Westen kaum ein­mischen dürfe und könne. Waris Dirie, berühm­te Kämpferin gegen Genitalverstüm­melung, erklärte dazu einmal: »Genitalverstüm­melung ist nicht das richtige Thema, um die Frage zu stellen, wer für wen sprechen kann und welche Meinung denn nun die richtige ist.«

Kontroverse Meinungen sind legitim und not­wendig in einer demokratischen Gesellschaft, sie gehen jedoch mit der Verantwortung für das Geäußerte einher. Wenn kulturrelativistisches Gerede das Denken der Politiker vernebelt, ergeben sich für die Opfer daraus direkte Konsequenzen. Vor diesem Hintergrund werden wich­tige Fragen oft gar nicht gestellt und somit auch keine erfolgversprechenden Lösungen gefunden.

Wo weibliche Genitalverstümmelung als »geschätzte Tradition« gesehen wird, die den ­Frauen helfe, »zu definieren, wer sie sind« (siehe z.B. die Studie von Alice Behrendt: »Tradition and Rights: Female Genital Cutting in West Africa«), wird die Realität, die hinter diesen Praktiken steht, völlig ausgeblendet. Konstrukte, de facto perfide Rechtfertigungen solcher Praktiken innerhalb der Gesellschaften, erhalten hier eine unangemessene Bedeutung.

In einem ersten Schritt wäre es für jene, die sich gegen Genitalverstümmelung engagieren, notwendig, den Fokus auf die Alltagsrealität zu richten und die zugrunde liegende Gewaltsys­tematik zu ergründen. Bei der weiblichen Ge­nitalverstümmelung handelt es sich um eine schwere Gewalttat, die an Frauen und Kindern verübt wird. Um sie zu legitimieren, ist eine ent­sprechende ideologische Rechtfertigung nötig. Systematische Gewalt in Gesellschaften beruht immer auf einer identischen Intention: der Sicherung bestehender Herrschaftsverhältnisse. Sie dient als Instrument der Repression gegen diejenigen, die beherrscht werden sollen in diesem Fall Frauen und Mädchen.

Studien und wissenschaftliche Arbeiten wie die von Asefaw/Hrzan, Behrendt und anderen tragen dazu bei, dass sexistische Gewalt wie Ge­nitalverstümmelung nicht als solche bezeichnet wird und mit dem Verweis auf einen »kultu­rellen Hintergrund« relativiert und auch toleriert wird.

Die Schlussfolgerungen, die Entwicklungshilfeorganisationen wie »Plan«, welche mit einem Patenkindsystem arbeiten, und Politikerinnen und Politiker aus diesen kulturrelativistischen Ansichten ziehen, sind für die Mädchen fatal. Marianne Raven, Geschäftsführerin von »Plan Deutschland«, sagt beispielsweise: »Erst wenn die Menschen verstehen, dass diese Tradition ganz und gar nichts Gutes hat, werden sie damit aufhören.«

Die Botschaft solcher Sätze lautet, dass die Menschen, die weibliche Genitalverstümmelung praktizieren, nicht über das uns eigene Urteilsvermögen verfügten und eigentlich gar nicht wüssten, was sie da tun.

Ein solcher Paternalismus ist an Naivität oder Ignoranz kaum zu übertreffen. Eine Studie der afrikanischen Frauenorganisation in Wien aus dem Jahr 2000 belegt, dass die Fortführung von Genitalverstümmelungspraktiken keineswegs auf Unwissenheit beruht. 75?% der befragten in Österreich lebenden Migrantinnen und Migranten sprachen sich darin gegen die Beendigung der Genitalverstümmelung aus, obwohl sich ein fast ebenso hoher Anteil der Folgen dieser Praktiken bewusst war. Der Paternalismus vermag auch nicht zu erklären, warum beispielsweise in Ägypten gerade in gebildeten Schichten Genitalverstümmelung praktiziert und von Ärztinnen und Ärzten landesweit durchgeführt wird. An mangelnder Bildung liegt es sicher nicht.

Erst wenn man die Genitalverstümmelung als systematische Gewalt begreift, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, dürfte man zu Lösungen kommen.

Um dieser Gewalt ein Ende zu setzen, muss eine Generation entstehen, die nicht den Gewalt- und Verdrängungsmechanismen früherer Generationen unterworfen ist. Den so genannten Entwicklungshilfeorganisationen sollte es zur Pflicht werden, dafür Sorge zu tragen, dass wenigstens die Kinder, die von ihnen betreut werden, vor dieser Gewalt bewahrt werden.

Doch die Organisationen entziehen sich ihrer Verantwortung, indem sie auf wissenschaftliche Arbeiten verweisen, die der Verstümmelung eine besondere »Kultur« zuschreiben. Sie halten viel von »sensiblem Dialog« und meinen, mit dem Bau von Brunnen und Schulen schon zur Entwicklung beizutragen. Das sei schließlich besser als nichts.

Doch es entsteht der Eindruck, dass die finan­zielle Unterstützung der Herrschenden nicht zu einem Ende der Gewalt führen wird. Bereits Ende der siebziger Jahre schrieb die Senegalesin Awa Thiam in ihrem Buch »Die Stimme der Schwarzen Frau«: »???jede Kampagne muss gemeinsam mit den Frauen durchgeführt werden, die hauptsächlich betroffen sind, oder mit der Bewegung, die die Frauen im Kampf ver­tritt. Jede andere Kampagne ist nicht nur vom Misserfolg bedroht, sondern schadet auch der Aktion der Kämpfenden.«

Da die meisten Organisationen sich bisher nicht einmal an die einfachsten Forderungen der Afrikanerinnen und Afrikaner halten wollen, etwa an die korrekte Terminologie »Weibliche Genitalverstümmelung«, dürfte wenig Hoffnung darauf bestehen, dass sie an einer Zusammenarbeit mit den für ihre Rechte kämpfenden Frauen und Männern (etwa des Inter African Committee) Interesse entwickeln.


Artikel erschienen in Jungle World Nr. 20 vom 15. Mai 2008


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