Schattenboxen mit Saddam
Während die USA beteuern, im »Krieg gegen den Terror« keineswegs Bagdad im Visier zu haben, herrscht in der Region helle Aufregung.
von thomas von der osten-sacken und thomas uwer
Der Irak geht in Stellung: Saddam Hussein lässt sein Militär aufmarschieren, um auf einen Angriff der USA vorbereitet zu sein. Außerdem hofft er auf die Unterstüzung seiner Handelspartner. Europäische und arabische Staaten möchten sich ihre guten Geschäfte mit dem Irak nicht zerbomben lassen.
Glaubt man Sabah Khodad, dann haben nicht nur einige der amerikanischen
Marschflugkörper die terroristischen Ausbildungslager knapp verfehlt.
Das ganze Land wäre falsch gewählt. Dem britischen Observer erklärte
der ehemalige irakische Geheimdienstoffizier, warum: »Als ich die
Twin Towers zusammenbrechen sah, war mein erster Gedanke: Das kann nur einer
aus Salman Pak gewesen sein.« Und Salman Pak liegt nicht in Afghanistan,
sondern am Tigris, südlich von Bagdad. In dem seit langem bekannten
Ausbildungslager irakischer »Spezialkräfte« wird alles
gelehrt, was ein Attentäter braucht: Anschläge, Mord und Khodad
zufolge eben auch Flugzeugentführung.
Salman Pak gehörte zu den neuralgischen Punkten, an denen das mittlerweile
aus dem Irak verbannte UN-Waffeninspektionsteam Unscom regelmäßig
nach Hinweisen auf Massenvernichtungswaffen suchte. Nach Auskunft des stellvertretenden
Leiters des UN-Teams Charles Duelfer gehörte auch eine Boeing 707 zur
Einrichtung des Lagers. Offiziell wurden an der Maschine Antiterrorübungen
durchgeführt. »Wir haben natürlich das Wort anti sofort
gestrichen«, erklärt Duelfer dem Observer. »Mich wundert
nur, warum man geschockt sein sollte, wenn im Irak Terror-Camps existieren.«
So könnte es eine Panne des Feldzugs gegen den Terrorismus sein, dass
übergelaufene irakische Geheimdienstler wie Khodad derzeit so offenherzig
plaudern. Denn während sich die Hinweise häufen, dass es eine
Verbindung zwischen dem irakischen Geheimdienst Mukhabarat und den islamistischen
Killerkommandos geben könnte, weisen der US-Außenminister Colin
Powell und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld derartige Vermutungen bislang
routinemäßig zurück - und damit alle Spekulationen, der
Irak könnte das nächste Ziel des »Krieges gegen den Terror«
sein.
Genau davon aber gehen in der Region selbst alle Beteiligten aus. Bereits
vor Wochen hat die türkische Regierung vor einem Militäreinsatz
im Irak gewarnt und angekündigt, im Falle einer Destabilisierung des
Landes militärisch gegen jede Möglichkeit einer weitergehenden
Unabhängigkeit der Kurdengebiete im Norden vorzugehen.
Während die irakisch-kurdischen Parteien derzeit ihre Bereitschaft
betonen, an der Einheit des Iraks festzuhalten, und eine strikt neutrale
Haltung im Falle eines Konflikts ankündigten, bereitet sich offenbar
auch die irakische Regierung auf eine mögliche Auseinandersetzung vor.
Im Süden des Landes, in der Region Basra, wurden neben den üblichen
Sicherheitskräften auch große Truppenkontingente der 3. Armee
und die Parteimilizen der »Fedayin Saddam« zu einem angeblichen
Manöver zusammengezogen. Die Krankenhäuser der Stadt Basra wurden
für »militärische Zwecke« geräumt.
1991 war die Region eine der Hochburgen des landesweiten Aufstandes gegen
das Regime. Im Kampf gegen die schiitischen Oppositionsparteien, die jüngst
für den Fall eines Militärschlags gegen den Irak einen erneuten
Aufstand angekündigt haben, hat die irakische Regierung in den vergangenen
zehn Jahren die ländlichen Gegenden der Region weitgehend entvölkert
und mehr als zehntausend mutmaßliche Sympathisanten verschleppt und
ermordet.
Am meisten aber plagt die irakische Regierung, dass aus der kurdischen Opposition
eine irakische Nordallianz entstehen könnte. Seit 1991 haben die Kurden
Militärverbände organisiert und ausgebildet, die das Regime weitaus
ernsthafter gefährden könnten als die vereinzelten Guerillaeinheiten
im Süden. Die jüngste Annäherung zwischen den über lange
Jahre verfeindeten Parteien der Region macht diese aus Sicht Bagdads nur
gefährlicher.
Allen Versuchen der kurdischen Parteien zum Trotz, einen Konflikt zu vermeiden,
droht der irakische Präsident Saddam Hussein daher erneut mit einem
militärischen Einmarsch im Norden. Entlang der Demarkationslinie, die
die kurdischen Gebiete vom Rest des Landes trennt, sind einmal mehr Verbände
der Republikanischen Garden mit Panzern und schwerer Artillerie aufgezogen.
Angesichts der militärischen Abriegelung der Grenze zur Türkei
fürchten die Menschen dort zu Recht, in einer tödlichen Falle
zu sitzen.
Dass sich die Region bereits in hellem Aufruhr befindet, obwohl die US-Regierung
vom Irak noch gar nicht sprechen will, ist nicht alleine der weit verbreiteten
Haltung geschuldet, politische Entwicklungen immer nur als Ergebnis US-imperialistischer
Schachzüge zu verstehen. Denn ganz unabhängig von der Glaubwürdigkeit
der konkreten Hinweise auf eine Verwicklung des Irak in die Anschläge
vom 11. September ist das irakische Regime in seiner Ideologie und Herrschaftspraxis
der al-Qaida verwandt.
Davon zeugen nicht nur die Berichte Treffen zwischen der »deutschen
Zelle« der Attentäter mit dem irakischen Mukhabarat-Vertreter
Ahmed Khalil al-Ani in der irakischen Botschaft in Prag. Nach Auskunft der
irakischen Opposition versuchen al-Ani und andere hohe Offiziere des Mukhabarat
seit Ausrufung des Jihad gegen die USA durch Saddam Hussein im zweiten Golf-Krieg
gezielt, islamistische Attentäter und Terrorgruppen anzuheuern. Mit
radikal antiamerikanischer und antizionistischer Phraseologie und der Unterstützung
palästinensischer »Märtyrer« stellt Hussein sich selbst
als unkorrumpierbaren Vorkämpfer der arabischen und islamischen Welt
dar.
Die säkulare irakische Variante des Terrors aber richtete sich bislang
weitgehend gegen die eigene Opposition und die Zivilbevölkerung. Das
dahinter stehende machtpolitische Kalkül widerspricht dabei vor allem
dem radikalen Internationalismus bin Ladens. Im Gegensatz zum Antisemitismus
der al-Qaida, die in den USA nur den Ausdruck eines »weltweit herrschenden
jüdischen Prinzips« sieht, Israel und die staatlichen Eliten
im Nahen Osten als dessen Außenstellen, verfolgt Bagdad klar nationale
Interessen, die der Baathismus ideologisch mit dem Auftrag der pan-arabischen
Einigung verknüpft.
Genau hierin liegt denn auch die Angst vor einer Ausweitung des »Krieges
gegen den Terror« auf den Irak begründet. Anstelle des schwer
fassbaren al-Qaida-Netzwerks und einer isolierten Taliban-Regierung würde
mit dem Irak die nationalstaatlichen Konflikte des Nahen Ostens ins Zentrum
der Auseinandersetzung geraten. Ob sich vor diesem Hintergrund die fragile
»Allianz gegen den Terror« erneut zusammenschweißen ließe,
ist mehr als fraglich.
So befindet sich Saddam Hussein derzeit wieder einmal in der Offensive.
Ende September schoss seine Flugabwehr bereits zum dritten Mal ein unbemanntes
US-Aufklärungsflugzeug ab, ohne dass dies Reaktionen zur Folge gehabt
hätte. Ganz im Gegenteil, die USA und Großbritannien schränkten
ihre Aufklärungsflüge über den Flugverbotszonen im Norden
und Süden des Landes stark ein.
Die Kampagnen des Irak wiederum gegen das zum Völkermord stilisierte
Embargo zeigen vor allem in den arabischen Ländern Wirkung. Saudi-Arabien,
einst wichtigster regionaler Partner der USA im Golf-Krieg, hat seine irakfeindliche
Haltung im vergangenen Jahr revidiert und seitdem Waren im Wert von 650
Millionen Dollar an den Irak geliefert. Tunesien, Ägypten und Syrien
sind in ein Freihandelsabkommen mit Bagdad eingetreten. Jordanien, dessen
Außenwirtschaft vollständig vom Export in den Irak abhängt,
bezieht täglich 30 000 Barrel irakisches Rohöl umsonst, immerhin
die Hälfte seines Gesamtbedarfs.
Beklagen die von Bagdad hofierten Anti-Embargo-Initiativen noch, dass unter
das Verbot so genannter dual use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch
genutzt werden können, theoretisch selbst Bleistifte und Schulbücher
fallen, so bezieht der Irak in der Praxis längst schon wieder Schwerlasttransporter
und Kettenfahrzeuge aus dem Ausland.
Der wirtschaftlich reizvolle Handel mit dem Irak ist zugleich mit dem ideologischen
Mehrwert verbunden, arabische Solidarität zu üben - eine kurzfristig
willkommene Legitimation für die arabischen Staaten, die sich im Falle
eines Konfliktes jedoch schnell auch als gefährlich herausstellen könnte.
Denn als Führer der deklassierten arabischen Massen könnte Saddam
Hussein zum vermeintlichen Gegenprojekt zu den arabischen Eliten werden,
die ihn heute begünstigen. Deren politisch schwache und daher auf Repression
und Günstlingswirtschaft bauende Herrschaft würde in eine tiefe
Legitimationskrise stürzen. Im Gegensatz zu Afghanistan dürfte
eine Zustimmung zu einem Militäreinsatz gegen den Irak daher nur zum
Preis einer gefährlichen Destabilisierung der gesamten Region zu bekommen
sein.
veröffentlicht in: jungle world 48 / 2001 vom 21.11.01