Primat der totalen Kontrolle
Die irakische Bevölkerung als Geisel des Hussein-Regimes
"Die koloniale Welt zerstören heißt
nicht mehr und nicht weniger, als eine der beiden
(kolonialistische/kolonisierte) Zonen vernichten,
sie so tief wie möglich in den Boden einstampfen
oder vom Territorium vertreiben."
(Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt/Main
1986, S.34)
Die Ordnung der Verhältnisse
Vierzig Jahre nach dem Tod Frantz Fanons, der ihn in New York am Tag der Veröffentlichung seines Werkes "Die Verdammten dieser Erde" einholte, wird der Kolonialismus allenthalben als Geschichte betrachtet. Zu offensichtlich wird die kollektive Erinnerung an die Zeiten kolonialer Herrschaft in den Ländern der ehemals Kolonisierten immer dann bemüht, wenn die Herrschaft der jeweiligen Staatselite bedroht scheint. Ursupatorische Regime, wie jenes des Saddam Hussein im Irak, übertrumpfen sich in antikolonialer und antiimperialistischer Rhetorik, während sie Fanons zutiefst pessimistische Kompromisslosigkeit in die Tat umsetzen - die "Vernichtung" der Unterlegenen im Kampf der Dekolonisation, das "Einstampfen in den Boden", die "Vertreibung" vom Territorium. Nahezu eine Million irakische Staatsbürger, die dem gnadenlosen Akkumulationsprinzip des Baathstaates im Wege standen, wurden seit Saddam Husseins Amtsantritt 1979 ermordet, mehr als zehntausend Kommunisten und Liberale fielen den baathistischen Terrortrupps bereits vorher zum Opfer. "Der Kolonisierte hat die Kultur des Unterdrückers angenommen", schrieb Fanon, "und sich auf sie eingelassen; er hat dafür zahlen müssen. Unter anderem damit, daß er sich die Denkformen der kolonialen Bourgeoisie zu eigen machte." In Hassan Ali-Majid - damals zuständiger Gouverneur für die kurdischen Direktorate - manifestierte sich 1988 programmatisch die Denkform dieser Bourgeoisie, die sich seitdem als Trauma in die Lebensgeschichte hunderttausender Kurden eingebrannt hat. Bevor das irakische Regime Tausende von Dörfern und Städten zerstörte, seine Bewohner entweder umsiedelte oder gleich "verschwinden" ließ und erstmalig Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, erklärte Majid: "Bis zum Sommer wird es hier keine verstreuten Dörfer mehr geben, sondern nur noch unsere 'Komplexe'. Wir werden die Menschen in die Komplexe stecken und sie dort beobachten. (...) Ich werde große Gebiete entvölkern. Dort wird jegliche Existenz verboten sein. Wozu ist dieses Gebiet gut? Haben wir von dort je etwas Gutes bekommen? Stellen Sie sich nur vor, was wir dort investiert haben und was wir zurück erhalten haben." Von aller humanistischen Rhethorik befreit, spiegelt sich in der irakischen Baath Partei jene Ordnung wider, in der die Entdeckung der Welt zur Eroberung deformierte, die Erschliessung des Landes zur Vertreibung und Vernichtung der nicht verwertbaren Bevölkerung: Der antikoloniale Kampf scheint entschieden, seine Strukturen aber leben fort.
Weil im gesamten Nahen-Osten und speziell dem Irak jene bekannte Ordnung der Verhältnisse fortbesteht, ist der europäische Blick, der auf die Region fällt, stets ein Blick auf das ungeliebte Zerrbild der eigenen Geschichte. Die usprüngliche Form der Ausbeutung hat sich zwar von ihrem kolonialen Subjekt gelöst, ihre gesellschaftlichen Umgangsformen aber bleiben als tief in den Ländern sedimentierte objektive Gewaltverhältnisse bestehen. So führt die Auseinandersetzung mit dem Baath-Regime im Irak, nicht nur weil die BRD in den 80er Jahren das Giftgas lieferte, wie zwangsläufig zu der Frage eigener Herrschaft und Verantwortung. Kaum ein anderer wurde wie Saddam Hussein von westlichen Staaten hofiert, bevor er selbst zum erklärten Feind des "imperialistischen Westens" wurde. Ohne sie wäre keines seiner Verbrechen möglich geworden - von der Lieferung der Fertigungsanlagen und Rohstoffe zur Produktion von Massenvernichtungswaffen, bis zur Ausspionage gegnerischer Stellungen und exilierter Oppositioneller. Sein Überleben verdankt das Regime der mit diesem Knowhow durchgeführten Zerschlagung aller gesellschaftlichen Freiräume und einer brutalen Staatsökonomie, die auf zwei Faktoren fusst: Dem enormen Reichtum an natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen und dem Willen zu deren skrupelloser Ausbeutung bis hin zur Vernichtung der eigenen Bevölkerung. Unter Saddam Hussein wurde fast das gesamte Potential gesellschaftlicher Modernisierung dem Primat militärischer Dominanz und vollständiger Kontrolle der Bevölkerung unterworfen. Nahezu ein Drittel des Staatshaushaltes wurden von der Armee verschlungen, während die gesamte Wirtschaft inklusive der petrochemischen Industrie militärischen Befehlsstrukturen unterworfen wurde. In der besonderen Brutalität, mit der die Regierung Saddam Husseins diesen Modernisierungsprozess seit ihrem Amtsantritt 1979 durchsetzte, verbinden sich auf idealtypische Weise Terror und Verwertung. Diese Verbindung, die es dem Regime erlaubte, das seit elf Jahren auf ihm lastende Embargo nicht nur zu überleben, sondern zur Konsolidierung der eigenen Herrschaft zu nutzen, hat ihren Ursprung in einer radikalen Wertabschöpfung für andere : Finanziert wurde das baathistische Modernisierungsprogramm mit den seit 1972 verstaatlichten Öleinnahmen, die fast vollständig ins Ausland abflossen, ohne dass auch nur ein Bruchteil ins Land reinvestiert wurde.
Zehn Jahre nach dem Golfkrieg und damit zehn Jahre zu spät, um dem Irak im Krieg zur Hilfe zu eilen, schreibt im Januar 2001 die Antiimperialistische Koordination Wien: "Die Verteidigung des Iraks und seines Volkes ungeachtet seines Regimes ist nicht nur notwendig für die arabische Befreiung sondern für alle demokratischen und antiimperialistischen Kräfte in der ganzen Welt." Denn die "monopolare Welt unter US-Kontrolle (ist) nichts anderes, als eine Tyrannei einer kleinen, dekadenten Elite in den westlichen Ländern." Damit bringt der radikalmarginale Wiener Zirkel nur zum Ausdruck, was sich heute in unzähligen Aufrufen und Petitionen von Jürgen Möllemanns "Deutsch-Arabischer-Gesellschaft" bis zu den PDS-nahen Weissenseer Blättern als allgemein gültige Analyse der Krise im Irak durchzusetzen scheint. Ausbeutung und Unterdrückung in der Region werden auf die Gefahr von "Aussen" herunterdekliniert, das baathistische Herrschaftssystem zu allererst als legitime Form verstanden, sich dem Zwang in ein imperialistisches Akkumulationsmodell zu widersetzen. Dabei wird eine manichäische Weltordnung entworfen, die im feindlichen Amerika nicht das kapitalistisch entwickelste Land mehr sieht, sondern den Agenten des Bösen schechthin. Das seit August 1990 gegen den Irak verhängte Embargo ist dabei das zentrale Argument einer unpolitischen Kritik und Ausdruck entpolitisierter Herrschaft im Irak zugleich.
Entpolitisierung
Ohne
Frage hat das gegen den Irak verhängte UN-Embargo
das Land tatsächlich in eine tiefe Krise
gestürzt. Denn nicht die Auflösung bestehender
Herrschaftsstrukturen, sondern deren Versteinerung
gingen mit der gewaltsamen Zerschlagung aller
noch existierenden unabhängigen Wirtschaftsbereiche
einher. Bereits zuvor funktionierte die irakische
Wirtschaft nur noch wie im Ausnahmezustand. "Schulden,
Inflation und Rüstung sind die wesentlichen
Ursachen für den Notstand, die seit 1985
um das Zehnfache gestiegen sind. (...) Die gesamte
Wirtschaft ist militarisiert, alle Kräfte
konzentrieren sich auf den Rüstungssektor.
Die Reprivatisierung vieler Staatsbetriebe nach
Kriegsende 1988 ist fast abgeschlossen, angeblich
um Ballast abzuwerfen und den Staat zu entlasten.
Tatsächlich ist ein Großteil dieser
Betriebe in den Besitz der Angehörigen der
Herrscherfamilie übergegangen. (...) Der
Irak wird so verwaltet und regiert, als gehörten
alle Reichtümer des Landes einer einzigen
Familie."
Der baathistischen Staatswirtschaft ist es gelungen,
das gesamte wertschaffende Eigentum auf eine den
Staatsapparat kontrollierende Elite zu konzentrieren.
Eine wertabschöpfende Elite, die zugleich
alle staatlichen Institutionen absorbiert und
ihrem direkten Interesse unterworfen hat. Die
regelmässigen Säuberungen, in denen
sich die Husseinklique aller potentiellen Konkurrenten
entledigt , gehen mit einer systematischen Schwächung
der einzelnen staatlichen Institutionen einher.
Jedem Sicherheitsdienst noch ist ein weiterer
zugeordnet, der ihn kontrolliert und bespitzelt.
Das Erfolgsprojekt des Baathismus, der einzigen
Regierungsform, die sich im nachkolonialen Irak
über lange Zeit an der Macht halten konnte,
beruht auf der Ausschaltung aller unkontrollierten
Nischen und Freiräume innerhalb der Gesellschaft.
Bereits unter Saddam Husseins Vorgänger und
politischem Ziehvater Al Bakr ging die Baath-Partei
daran, alle sozialen und politischen Organisationen
aufzulösen oder in den baathistischen Staat
einzugliedern. Dabei bediente sich das Regime
noch zu Beginn seiner Herrschaft einer zweigleisigen
Strategie von Begünstigung und Unterdrückung.
Bildungs-, Gesundheits- und Sozialprogramme wurden
mit dem seit der Verstaatlichung der Erdölindustrie
vervielfachten Staatshaushalt durchgeführt
und grosse Bevölkerungsteile in eine über
alle Massen aufgeblähte Verwaltung integriert.
Massnahmen, die sich gezielt an die Klientel der
Baath-Partei, aber auch an mögliche Gefahrenquellen
richteten, wie die Studentenorganisationen und
Gewerkschaften. Die bis heute von Apologeten des
Baath-Staates gerne gelobte Gesundheits- und Sozialpolitik
funktionierte nur als repressives Wohlfahrtssystem,
das Massenorganisationen absorbierte während
die politischen Eliten liquidiert wurden . Mit
Einsetzen der wirtschaftlichen Krise Ende der
Siebziger Jahre kippte das Modell zur repressiven
Seite hin: Das defizitäre (und unproduktive)
Sozialsystem des Irak, das kaum mehr finanzierbar
war, wurde immer stärker durch reine Repression
abgelöst, die Verantwortung für die
Krise auf das feindliche Aussen (Iran, Israel
und später die USA) verlagert, bzw. auf deren
"Agenten" im Inneren. Mit Ausbruch des
Iran-Irak-Krieges verleibte sich der Baath-Staat
das Eigentum der im Zentralirak ansässigen
Faili-Kurden ein und deportierte eine gesamte
Bevölkerungsgruppe als "feindliche Agenten".
Der Krieg diente dem Regime nicht nur als Anlass
exzessiver Repressionsmassnahmen gegen ganze Bevölkerungsgruppen,
sondern zugleich der vollständigen Säuberung
aller machttragenden Strukturen im Lande. Das
gesamte Offiziercorps wurde ohne Rücksicht
auf die militärischen Konsequenzen während
des Krieges wiederholt "ausgetauscht"
und die Verantwortung auf einen immer kleineren
Zirkel der Macht übertragen . Übrig
blieb ein klientelistisches Wirtschaftssystem,
bei dem die Verteilung von Aufträgen und
Einkommen von der direkten Loyalität zu Staat
und Baath-Partei abhängig sind, die beide
immer stärker in der Person Saddam Husseins
vereinigt wurden.
Weder die abstrakte Gewalt der Marktbeziehungen
also, noch die institutionalisierte Gewalt repressiver
Gesetze oder militärischer Apparate, sondern
vielmehr der unmittelbare Zwang, angeordnet und
durchgeführt von den Mitgliedern der Elite
selbst, stellen das eigentümlichste Merkmal
baathistischer Herrschaft dar. Tatsächlich
existiert nicht eine Instanz, die das Handeln
der Elite nach zweckrationalen Interessen kontrollieren
oder beeinflussen könnte. Diese hat sich
vollständig von allem abgekoppelt, was ausserhalb
der Durchsetzung direkter Eigeninteressen liegt.
Eine Abkoppelung, die zugleich die grösste
Bedrohung für die tendenziell überflüssige
Bevölkerung darstellt. Damit hat sich das
Regime zugleich von jeder Zweckrationalität
des Handelns befreit, die seine militärischen
und politischen Aktionen im staatlichen Rahmen
erklärbar machten. Die Baathistische Herrschaft
muss als vollständig entpolitisierte gefasst
werden, weil sie keinerlei Rationalität folgt,
ausser jener, die sie sich selbst schafft. Dies
gibt einen Hinweis auf die besondere Grausamkeit
der Repression, die sich unabhängig von objektiver
oder subjektiver "Schuld" jederzeit
gegen jeden richten kann. Die Tatsache, dass sich
- zumal in heiklen Fällen - die Mitglieder
der Hussein-Klique persönlich an Hinrichtungen
und Folter beteiligen, hat immer wieder zu Analysen
irakischer Herrschaft geführt, die die ökonomischen
Zweckrationalität des Handelns in Frage gestellt
haben. Es ist dies andererseits sicherlich einer
der Gründe, warum gegenüber Saddam Hussein
jegliche Diplomatie wie auch alle gutgemeinten
Forderungen nach Einhaltung minimalster Menschenrechtsstandards
regelhaft scheitern.
Die irakische Wirtschaft befindet sich folgerichtig
in einer permanenten Krise, die anders als die
normal kapitalistische, immer die finale seiner
Bevölkerung zu sein droht. Jede Krise des
Regimes wird einerseits regelhaft auf diese abgewälzt,
andererseits alleine feindlichen Einflüssen
von Aussen zugeschrieben. Schon kurz vor Ausbruch
des Golfkrieges stand der Irak am Rande des Kollaps.
"Die Golfkrise und die Wirtschaftssanktionen
durch die UNO können in gewisser Weise durchaus
als Glücksfall für das irakische Regime
betrachtet werden. Es konnte gegen die internationalen
Sanktionen protestieren, gleichzeitig eine interne
Blockade gegen den Norden verhängen und eine
Wirtschafts- und Finanzpolitik verfolgen, die
die Lasten der Sanktionen auf die Bevölkerung
abwälzt." Das Dilemma der Irak-Sanktionen
besteht daher vor allem darin, dass sie den Idealfall
baathistischer Herrschaft als Massnahme von Aussen
im Lande reproduzieren: Eine Bevökerung,
die zur Untätigkeit gezwungen auf Gedeih
und Verderb von Lebensmittelrationen abhängt,
deren Verteilung das Regime kontrolliert. Anstatt
das Regime zu schwächen, hat das Embargo
den entpolitisierten Charakter dessen Herrschaft
auf den Höhepunkt getrieben. Denn mit dem
Einsetzen der ökonomischen Sanktionen wurden
nicht die Strukturen getroffen, mit denen das
Regime den Mehrwert aus dem Land herauspresst,
sondern lediglich dessen Abfluss nach Aussen blockiert.
Der Kern baathistischer Herrschaft aber liegt
nicht in seinem Verhältnis nach Aussen, sondern
in der vollständigen Kontrolle aller Ressourcen
nach Innen. Es darf nicht verwundern, dass das
Verteilungssystem unter dem UN-Embargo systematisch
genutzt wurde, um widerständige Bevölkerungsteile
im Süden des Landes und den schiitischen
Suburbs Bagdads auszuhungern, während der
verhinderte Abfluss der Ölrente zu einer
enormen Akkumulation von Reichtum in den Händen
der Baath-Elite geführt hat. Auf dem in Paris
verwalteten Treuhandkonto des Regimes lagern alleine
aus dem erlaubten Ölverkauf rund 13 Milliarden
US-Dollar, auf deren Freigabe nach Aufhebung der
Sanktionen gehofft werden darf. Rund 1,5 Milliarden
US-Dollar jährliche Einnahmen aus dem illegalen
Ölverkauf und weitere nahezu 1 Milliarde
jährliche Einsparungen seit Inkrafttreten
des Öl-für-Nahrungsmittelprogrammes
der UN 1998 bilden zusammen einen stattlichen
Schattenhaushalt, über den das Regime bereits
jetzt, unter Embargobedingungen, frei verfügt.
Der
Entpolitisierung der Verhältnisse im Lande
entspricht zunehmend die Wahrnehmung auf sie.
So kommt es, dass ausgerechnet im Falle des Irak
die Kritik an der internationalen Verantwortung
für das Elend der Bevölkerung sich in
der Beschreibung der Notlage erschöpft. Die
Embargogegner, die zu Recht feststellen, dass
das Embargo weitgehend nur die Zivilbevölkerung
treffe, sitzen dabei der selben Fehleinschätzung
auf, die das Embargo erst zu jenem wirkungslosen,
gegen die Bevölkerung alleine gerichteten
Regime hat werden lassen. Die Bevölkerung,
das hat die Geschichte des Irak vor Verhängung
des Embargos zur Genüge gezeigt, nämlich
zählt innerhalb der irakischen Herrschaftslogik
nichts. Genauso wenig wie die Verelendung die
Macht Saddam Husseins hat schwächen können,
wird ein Ende der Sanktionen die erhoffte Demokratisierung
oder auch nur eine Besserstellung der Bevölkerung
des Landes herbeiführen.
Vor diesem Dilemma einer von jeder Politik bereinigten
Herrschaft des Baath-Staates kapituliert seit
Jahren auch die irakische Opposition, die keinen
Adressaten für ihre Anliegen findet. Denn
das Baath Regime kann weder potentiell dissidente
Eliten , noch eine Bevölkerung, die auch
nur in Ansätzen ihre Interessen gegen das
Regime Husseins artikulieren oder gar durchsetzen
könnten, dulden. So befinden sich die irakischen
Exilorganisationen in der fatalen Situation, daß
die Herrschaft im Irak sie zwingt so zu handeln,
wie die irakische Propaganda es ihnen zugleich
vorwirft - und Hilfe für ihr Anliegen im
Ausland suchen muss. Ihr Engagement wird zudem
immer auch von dem Widerspruch bestimmt, dass
eine Aufhebung der Sanktionen derzeit mit einer
Rehabilitation des Saddam Regimes verknüpft
wäre. In ihrer Vorsicht wird die Angst spürbar,
dass mit Ende des Embargos, das die Bevölkerung
zu einem wichtigen Instrument der Baathpropaganda
macht, diese weitestgehend überflüssig
würde und liquidert werden könnte.
Solidarität
Die
Strukturen kolonialer Ordnung wirken fort - in
der baathistischen Herrschaft einerseits, in einem
Blick anderseits, der den eigenen Anteil daran
nicht zu sehen vermag. Im gleichen Masse nämlich,
wie die irakische Opposition auf das Ausland angewiesen
ist, dessen Wille zur politischen Isolierung des
Regime aufgrund der alles durchdringenden Kontrolle
und Repression im Irak selbst, einzig noch als
Hoffnung auf eine demokratische Umwälzung
der Verhältnisse verblieben scheint, scheiterten
bislang alle Versuche, einen Umsturz von Aussen
einzuleiten an der Tatsache, dass das Regime sich
von seinen Aussenbeziehungen längst emanzipiert
hat. In den versteinerten Herrschaftsstrukturen
nach Innen wirkt eine Politk fort, die zur vollständigen
Abschöpfung des Reichtums ein Regime benötigte,
dass diese Abschöpfung gegen den Widerstand
der Bevölkerung und entgegen alle volkswirtschaftliche
Vernunft durchzusetzen in der Lage war. Die damit
verknüpfte Gewalttätigkeit spiegelt
sich wider im eiskalten Umgang der Embargogegner
und "Antiimperialisten" mit der irakischen
Opposition und der Soldarität mit denen,
die sie "einstampft". Im Gegensatz beispielsweise
zu Vereinen, wie der anfangs zitierten antiimperialistischen
Koordination Wien, die ihrer Kampfansage den Aufruf
folgen lassen, "schickt Unterstützermails",
haben irakische Oppositionelle aller couleur im
Kampf gegen das Hussein-Regime viel riskiert und
noch mehr verloren.
Das Verbrechen bürgerlich-kapitalstischer
Herrschaft am Irak liegt nicht im Embargo begründet.
Ein Kapitalismus, der sich selbst um seine Absatz-
und Rohstoffmärkte bringt, letztlich wäre
ein so schlechter, dass ernsthaft Grund zur Hoffnung
bestünde. Das internationale Verbrechen am
Irak liegt in der Form irakischer Herrschaft begründet,
der radikalen Wertabschöpfung durch die Vernichtung,
die Vertreibung. Dies spiegelt sich nicht zuletzt
in der Tatsache wider, dass keine der von den
UN avisierten Kontrollmassnahmen Unterstützung
fand, die sich mit der Unterdrückung der
Bevölkerung im Lande befassen wollte: Alle
Kontrollinspektionen inklusive der Abrüstungskontrolle
drehen sich nur um die Gefahr des Regimes für
das Ausland.
Die auffälligste Gemeinsamkeit zwischen den
europäischen Petitionären und ihren
Regierungen, besteht darin, dass sie alle sich
einen Irak ohne Herrschaft, zumindest ohne ein
diktatorisches Regime, nicht vorstellen können.
Genau wie sie die mörderischen Kampagnen
des Regimes gegen die Kurden im Norden und die
Schiiten im Süden des Landes verschweigen,
so wissen sie auch nicht von den kurzen Momenten
der Freiheit während der Aufstände der
Bevölkerung im Irak 1991 zu berichten. Mit
dem Regime, das um diese Freiheit weiss und deshalb
die Bevölkerung massakriert und ausschaltet,
aber verhält es sich umgekehrt wie mit dem
Embargo: Seine Beseitigung ist die primäre
und unabdingbare Voraussetzung für jede Verbesserung
im Irak. Die darin enthaltene Kompromisslosigkeit
mag gemessen an den realen Möglichkeiten
pessimistisch erscheinen. Insofern aber als sie
Befreiung verspricht, ist sie die einzig optimistische.
Thomas Uwer/ Thomas v. der Osten-Sacken, wadi e. V.
Leicht gekürzt erschienen in Blätter des Informationszentrum 3. Welt (iz3w) Nr. 253/ Mai - Juni. 2001