Niemand will Saddam zurück
Knapp drei Wochen nach dem Sturz des Baathregimes macht sich Thomas von der Osten-Sacken auf zu einer Reise durch den Irak. Entgegen dem von den Massenmedien verbreiteten Bild von aufgebrachten, Fahnen verbrennenden Massen zeigt sich ihm ein anderes: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist mehr als nur erleichtert über das Ende von Saddams Schreckensherrschaft.
von Thomas von der Osten-Sacken
In der Regel pflegt in der sogenannten arabischen Welt die Auskunft, man stamme aus Deutschland eine stereotype Reaktion auszulösen: ""Germany, good, very good" – nicht selten wird dann Hitler als großartiger Mensch bezeichnet, der immerhin die Juden umgebracht und den Amerikanern Paroli geboten habe. Anders der irakische Taxifahrer, mit dem wir uns auf den vierzehnstündigen Weg aus der jordanischen Hauptstadt Amman nach Bagdad aufgemacht haben. Er zeigt nicht nur keinerlei Begeisterung, sondern fragt, wieso Deutschland so verrückt gewesen sei, Saddam zu unterstützen. Von Schröder, Chirac und Putin halte er gar nichts.
Fahrt nach Bagdad
Auf der Fahrt durch Nacht und Wüste herrscht unter den Fahrgästen im Taxi eine gelöste Stimmung. Gegen vier Uhr morgens erreichen wir in einem Konvoi irakischer Sammeltaxis die irakisch-jordanische Grenze. Die meisten der Taxis transportieren Satellitenschüsseln; bislang war deren Besitz im Irak untersagt. Im Niemandsland zwischen beiden Grenzen hat die UN ein Zeltlager für irakische Flüchtlinge errichtet, denen von den Jordaniern die Einreise verweigert wird. Auf irakischer Seite steht, wie seiner Uniformjacke zu entnehmen ist, Private Lesly. Das überdimensionale Gemälde Saddam Husseins, welches bis vor wenigen Wochen die Reisenden begrüßte, wurde übermalt, die Grenzgebäude sind verrammelt, es gibt weder Gepäckkontrollen noch werden die Pässe gestempelt. Anders als 1991 wurden in dieser Gegend offenbar weder Stromleitungen noch Telegraphenmasten bombardiert. In Ramadi, das ca. 150 Kilometer westlich von Bagdad liegt, säumen die ersten zerschossenen irakischen Panzer die Straße. Die Strecke hier gilt als unsicher, wir befinden uns im sogenannten sunnitischen Dreieck des Irak, einem Gebiet, das, anders als der schiitische Süden oder der kurdische Norden des Irak, von Saddam weder zerstört noch in besonderem Maße vernachlässigt worden ist. Im etwas weiter südlich gelegenen Fallujah kommt es immer wieder zu Demonstrationen gegen die Amerikaner. Diese vermuten, dass sich in dieser Gegend noch viele hochrangige Baathfunktionäre verstecken. Die Stämme und vor allem ihre Führer, die in dieser Gegend siedeln, haben von Saddams Herrschaft profitiert.
Saddam-City
Kurze Zeit später erreichen wir die Vororte Bagdads, jenen letzten
Verteidigungsring, den die Republikanischen Garden in Haus-zu-Haus-Kämpfen
gegen die "Invasoren" halten sollten, und passieren Abu
Graib, einen Stadtteil, in dem das wohl bekannteste Gefängnis des
Irak liegt. Kurz vor dem Fall Bagdads soll das Regime noch alle politischen
Gefangenen umgebracht haben. Abu Graib war im Irak jahrzehntelang für
seine wöchentlich stattfindenden "Gefängnissäuberungen"
berüchtigt; alleine an einem Tag wurden hier vor drei Jahren 2000
Gefangene hingerichtet. Ein Geburtstagsgeschenk Qusays an seinen Vater
Saddam. Jetzt steht das Gefängnis, wie unzählige andere im
Irak auch, leer. Auf der Suche nach ihren verschwundenen Angehörigen
hatten Bewohner Bagdads es gestürmt. Sie waren auf unterirdische
Folterkeller, ein Quadratmeter große Einzelstehzellen und unzählige
Dokumente gestoßen – nicht aber auf ihre Verwandten und
Freunde.
Je mehr wir uns im chaotischen Straßenverkehr – noch funktionieren
weder Ampeln noch gibt es eine Verkehrspolizei – dem Zentrum nähern,
desto häufiger säumen ausgebrannte irakische Panzer und Flakgeschütze
den Weg. Sie stehen mitten in Wohnvierteln, Zeugen jenes von Saddam
Hussein anvisierten Endkampfes, in dem, wie er angekündigt hatte,
der Irak sich in einen "Feuerball" verwandeln sollte. Später
werden uns kurdische Freunde, die den Krieg in Bagdad erlebten, berichten,
wie sich die Fedayeen Saddams und Freiwillige aus arabischen Ländern
in ihren Häusern versteckten und sie wochenlang als Geiseln nahmen.
Die Stadt wirkt völlig vernachlässigt, überall türmt
sich der Müll, nur wenige Geschäfte sind geöffnet. Hin
und wieder passieren wir einen amerikanischen Checkpoint, die amerikanische
Präsenz hält sich allerdings in Grenzen. Seltsam allerdings
klingt das Geräusch fahrender Panzer in den leeren Stadtvierteln.
Nachts herrscht Ausgangssperre, weil mafiaähnlich organisierte
Banden und Plünderer unterwegs sind. Viele Stadtviertel sind von
den Bewohnern mit behelfsmäßigen Blo-ckaden abgesperrt worden.
Die Innenstadt, vor allem der früher so belebte Souq al Arabi,
ist völlig ausgestorben. Straßen und Häuser sind heruntergekommen,
die alten Stadtstrukturen vom architektonischen Größenwahn
der Baathpartei weitestgehend zerstört.
Hotel Qusr Sindbad
Im Hotel Qusr Sindbad, wo unsere kurdischen Mitarbeiter auf uns warten,
ist eine Abordnung der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) abgestiegen.
Arabische Stammesführer in ihren Trachten sitzen am Nebentisch,
das Gebäude wird von kurdischen Milizionären bewacht. Es heisst,
alle hochrangigen kurdischen Politiker beider großer Parteien
seien in Bagdad, eine Konferenz der Ex-Opposition werde vorbereitet.
Ein Treffen der Opposition löst das andere ab, noch hofft man,
bald an einer Übergangsregierung beteiligt zu werden. Später
wird sich herausstellen, dass die Amerikaner sich entgegen ihren ersten
Ankündigungen mit der Bildung einer solchen Regierung Zeit lassen
wollen und vorerst die neuzubildenden Ministerien unter eigener Ägide
mit irakischen Beratern zu leiten gedenken.
Trupps von Journalisten und Fernsehteams warten auf Interviewtermine
oder eine Pressekonferenz.
Die Sicherheitslage ist das alles bestimmende Thema. Bislang ist es
den amerikanischen Truppen nicht gelungen, in der Hauptstadt für
Ruhe und Ordnung zu sorgen. Allerdings ist das Kriegsende auch noch
keine drei Wochen her. Natürlich kann man deshalb, wie die deutsche
Entwicklungshilfeminsterin, lamentieren, dieser Krieg habe mehr Probleme
geschaffen als gelöst, und auf die marodierenden Banden in Bagdad
verweisen. Auf Zustimmung stößt diese Behauptung im Irak
allerdings nicht. Auch nach wiederholten Aufenthalten in Bagdad habe
ich kein einziges Mal einen Iraki gehört, der sich die Zeit vor
dem Krieg zurückgewünscht hätte. Es mag sie geben und
gibt sie; schließlich hatte die Baath Partei 2 Millionen Mitglieder,
sicherlich nicht alles überzeugte Anhänger Saddam Husseins,
aber doch Leute, die nicht unbedingt begeistert von der neuen Lage sein
dürften. Mit wem ich aber sprach, ob Händler, Taxifahrer oder
Kellner, sie alle zeigten sich froh über den Sturz Saddam Husseins,
um sich dann über fehlende Arbeit, die Sicherheitslage oder etwas
Anderes zu beklagen. Die Frage ist nur, in welchen Kontext man diese
Klagen stellt. Mit dem entsprechenden Willen und dem dazugehörigen
Weltbild, das etwa der ARD eigen ist, gelingt es, in Kürze den
Eindruck entstehen zu lassen, im Irak erreiche die Unzufriedenheit ein
schier unerträgliches Ausmaß und im Vergleich sei die Zeit
unter Saddam Hussein wahrhaft paradiesisch gewesen.
Schließlich müssen aber auch Journalisten, die der neuen
Lage etwas aufgeschlossener gegenüber stehen als etwa das deutsche
Fernsehen, aus dem Irak berichten, und jeder Zuschauer erwartet Bilder
demonstrierender Massen, die irgendwelche Fahnen verbrennen und wutentbrannt
die Fäuste ballen – schließlich handelt es sich ja
um Araber, und die kennt man seit Jahren nicht anders.
Dem Bedürfnis des westlichen Konsumenten kommen die Populisten
im Irak gerne nach. So kündigte ein geistlicher Führer kürzlich
an, unter seiner Führerschaft würden eine Million Menschen
gegen die amerikanischen Besatzer demonstrieren. An besagtem Tag hielten
wir uns in Bagdad auf und fuhren von einer Ecke der Stadt zur anderen
und stießen dabei auf Demonstranten, die eine radikale Entbaathifizierung
der Elektrizitätswerke forderten und auf andere Demonstranten,
die eine Auszahlung ihrer Gehälter verlangten. Weder hatten wir
zuvor von der einen Million Demonstranten gehört, noch sie gesehen.
Ganze 8000 sollen dann dem Aufruf gefolgt sein. Aber im arabischen Satellitenfernsehen
sprechen sie aufgeregt von einer weiteren Massendemonstration gegen
die Amerikaner. Al Jazeera etwa, dessen Leiter inzwischen wegen enger
Verbindung zu Saddam Hussein zurücktreten musste, wünscht
sich den Aufstand gegen die Amerikaner förmlich herbei, ein Wunsch,
den auch die meisten Linksliberalen und linken deutschen Zeitungen offenbar
teilen. Zugleich gibt es wirklich bedrohliche Entwicklungen. Inzwischen
ist die Armee aufgelöst und demobilisiert, von einem Tag auf den
anderen haben so 400 000 Ex-Soldaten ihr bisheriges Einkommen verloren;
eine Lösung hat die amerikanische Übergangsverwaltung bislang
nicht gefunden. Nun mehren sich Demonstrationen und Kundgebungen ehemaliger
Militärangehöriger. "Wenn sie uns 50 Dollar zahlen,
sind wir zufrieden und arbeiten mit den Amerikanern", meint ein
Ex-Offizier, dem wir später in Mossul wieder begegnen, "wenn
nicht, dienen wir denjenigen, die uns 50 Dollar versprechen –
auch im Kampf gegen die Amerikaner." Zeitgleich hebt die US-Militärpolizei
in Bagdad ein Treffen von ehemaligen Baathisten aus, die sich offenbar
zu reorganisieren versuchten.
Erleichterung im Nordirak
In Irakisch-Kurdistan wird die Nachricht von der Auflösung der irakischen Armee, wie so viele Neuigkeiten der letzten Zeit, mit Freude aufgenommen. Die irakische Armee stellte für die Kurden nichts weiter als ein blutiges Unterdrückungsinstrument dar. Überhaupt herrscht hier, anders als in Bagdad, eine spürbare Feststimmung. In den Straßen hängen Plakate, auf denen Bush und Blair für die Befreiung gedankt wird. "Wir Kurden haben einen dreifachen Sieg gegen unsere schlimmsten Feinde errungen" meint Salar Rashid, Minister für Menschenrechte in Suleymania, "Saddam Hussein ist gestürzt, Ansar al Islam verjagt (eine radikalislamistische Gruppierung mit Verbindungen zu Al-Qaida, die eine Bergregion in der Nähe der Stadt Hal-bja kontrollierte) und die Türken sind nicht einmarschiert." Es dürfte eine verschwindend geringe Zahl gewesen sein, die in den kurdischen Gebieten den Krieg nicht begrüßt und unterstützt hätte. Rashid, der lange in Deutschland gelebt hat, zeigt sich über die Haltung der Bundesregierung enttäuscht. Besonders für grüne Politiker, die sich in der Vergangenheit in der Rolle der Fürsprecher der Kurden gefallen haben, hat er kein gutes Wort übrig. Es spräche zudem Bände, dass in Irakisch-Kurdis-tan keine einzige grössere deutsche Hilfsorganisation tätig sei. Die deutsch-europäische Haltung, ebenso wie die Politik der meisten arabischen Länder hätten lediglich Saddam Hussein geholfen, mit Frieden hätten diese dagegen nichts zu tun. Besonders erbost ist man in Kurdistan über die Haltung der Paläs-tinenser, deren offene Unterstützung Saddam Husseins auf ungeteilte Abscheu stößt. "Saddam Hussein führte Krieg gegen sein eigenes Volk, und die Araber, die sich mit den Opfern der Baathpartei solidarisiert haben, kann man zu Dutzenden zählen", meint Salar Rashid. "Einzig ein gewaltsamer Sturz konnte diesen Krieg beenden. Alleine, ohne Hilfe von außen hätten die Irakis das nicht geschafft. Schließlich hat der Westen und vor allem Europa den Irak jahrelang aufgerüstet. Ein Aufstand hätte Hunderttausenden, wenn nicht Millionen, das Leben gekostet. So sind einige Tausend Zivilisten umgekommen. Das ist bedauerlich, aber jeden Monat hat dieses Regime Tausende von Menschen ermordet, und niemand hat darüber gesprochen. Das ist jetzt vorbei. Deshalb sind wir den Amerikanern und Briten so dankbar."
"Keine Agenten der USA"
Die Erleichterung über den Kriegsausgang ist im Nordirak jedem förmlich anzumerken, auch wenn viele Fragen, vor allem solche über den künftigen Status der kurdischen Autonomiegebiete, noch offen sind. Vor allem die Lage in der Erdölstadt Kirkuk bereitet den Politikern in Suleymaniah Sorgen. Etwa dem Premierminster Berham Saleh, der vor Kriegsbeginn in verschiedenen Artikeln die Lage der irakischen Bevölkerung mit der westeuropäischen vor der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die alliierten Truppen verglichen hatte. "Wir sind keine Agenten der USA, sondern Agenten unseres Landes". Tief sitzt hier der Vorwurf arabischer Medien und europäischer Linker, die Kurden hätten sich de facto als Agenten der USA verdingt. Im Gespräch betont er, dass er seit Jahrzehnten Linker sei, er aber die Linke im Westen nicht mehr verstehe, die einzig ein blinder Antiamerikanismus anzutreiben scheine. "Als die USA Saddam unterstützten, halfen uns die Linken. Jetzt wo die USA Saddam stürzen, sind sie gegen uns." Dann wird aus dem Raum gerufen, Jalal Talabani, Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdis-tan (PUK), die den südlichen Teil Kurdistans kontrolliert, sei am Telefon, es habe einen Konflikt in Kirkuk gegeben. Einige Araber seien getötet worden, nachdem am Vortag einige Kurden das gleiche Schicksal erlitten hätten. Alle fürchten, es könnte zu einem innerethnischen Bürgerkrieg in Kirkuk kommen. Bislang allerdings war die Situation wieder Erwarten vergleichsweise ruhig, obwohl nach den Erfahrungen der 90er Jahre gerade Kirkuk ein Herd ethnischer Spannungen sein müsste. In den vergangenen Jahren führte Saddam Hussein in dieser und anderen von Kurden, Arabern, Turkmenen und Assyrern bewohnten Städten eine gezielte Arabisierungskampagne durch. Kurden und andere Nicht-Araber wurden enteignet und vertrieben und an ihrer statt arabische Familien aus dem Zentral- und Südirak angesiedelt. Insgesamt schätzt die kurdische Regionalverwaltung die Zahl vertriebener Kurden auf mehrere Hunderttausend, die größtenteils in Auffanglagern oder Barackenstädten ein Leben am Rande des Existenzminimums fristen müssen. Eine schnelle Rückkehr bleibt ihnen versagt, denn die kurdische Seite will Spannungen vermeiden und den Prozeß legal und unter amerikanischer Aufsicht durchführen. Bislang ist es auch nur zu einigen spontanen Inbesitznahmen alten Grundeigentums gekommen, die schnell unterbunden wurden. Das Mißtrauen in Kirkuk ist groß. Auch wenn man auf den Straßen nichts besonderes bemerkt, ist die Lage extrem angespannt. Ein Rechtsdozent der Universität Suleymaniah zeigt sich entsprechend besorgt. Seiner Ansicht nach sind es vor allem arabische Stämme, die extrem enge Verbindung zur Baathpartei hatten, die nun diesen Ärger verursachen. "Mit etwas Geld kann man diese Stämme faktisch einkaufen. Das hat Saddam früher gemacht, heute tun das andere."
Massaker an der Bevölkerung
Viele Konflikte, die in westlichen Medien und vor allem im arabischen
Satellitenfernsehen als ethnisch motiviert dargestellt werden, entspringen
in Wirklichkeit Stammesfehden oder sind Ausdruck des herrschenden Hasses
auf die Baathpartei. Vor einiger Zeit wurden etwa in Kirkuk drei Baathisten
auf offener Strasse gelyncht, vor dem Gouverneurspalast kam es zu einer
Demonstration, auf der die Entbaathisierung der Verwaltung gefordert
wurde. Die Nachrichten von einem am Vortag im südirakischen Hilla
entdeckten Massengrab hatten zuvor auch die Stimmung im Norden aufgeheizt.
Geschätzte 15000 Leichen von nach dem Aufstand von 1991 ermordeten
Menschen sollen dort verscharrt worden sein. Das Fernsehen zeigt Bilder
von mit weinenden Frauen umringten Baggern, die Skelette zutage fördern.
Auch hier in Kurdistan werden noch immer über 180 000 Menschen
vermisst, die während der sogenannten Anfallkampagne verschleppt
wurden und über deren Verbleib niemand etwas weiß. Fast täglich
werden jetzt Massengräber freigelegt, weil sich überall im
Land Augenzeugen melden, die den Massen-exekutionen beigewohnt haben.
Südlich von Kirkuk hat sich Saddam Husseins Cousin Hassan Ali Majid
eine prächtige Villa bauen lassen. Im Irak ist er als Chemical
Ali bekannt, weil er für die Bombardierung kurdischer Städte
und Orte mit Giftgas aus deutscher Produktion verantwortlich war. Wie
sich jetzt herausstellt, ließ er vor der Villa ein Massengrab
anlegen. Mansour Hammahkarim Saleh, Leiter der Dokumentationsabteilung
des Ministeriums für Menschenrechte in Suleymaniah, geht davon
aus, dass es alleine in der Gegend um Kirkuk Hunderte von Massengräbern
gibt. Eines, das er gerade besichtigt habe, sei 30 mal 500 Meter groß.
Solche Nachrichten bestimmen hier weit mehr die politischen Debatten
als die Meldungen der europäischen Presse, die USA hätten
die Existenz von Massenvernichtungswaffen nur als Vorwand für den
Krieg genutzt. "Uns ist egal, warum Bush Saddam gestürzt
hat", meint dazu eine Frauenaktivistin, "wichtig ist nur,
dass er gestürzt ist." Zwei ihrer Brüder wurden in den
80er Jahren von der Geheimpolizei verhaftet und sind bis heute verschwunden.
Hunderttausende von Irakern wissen bis heute nicht, was mit ihren "verschwundenen"
Angehörigen geschehen ist.
Beklagt so einerseits fast jede irakische Familie ein Opfer des Baathismus,
so gibt es auf der anderen Seite kaum eine Familie, in der nicht ein
Mitglied freiwillig oder unter Zwang für das Regime gespitzelt
hätte oder ihm in anderer oft schlimmerer Weise zu Diensten war.
"Komplizenschaft", schreibt Kanan Makiyah in seinem Buch
"Iraq – Republic of Fear", stellte neben "Angst"
die zweite Säule baathistischer Herrschaft dar.
Eine unglaubliche Aufgabe steht also bevor, will man, wie von der irakischen
Opposition gefordert, die Verbrechen des Regimes juristisch aufarbeiten
und die Täter bestrafen. Ob das jemals in vollem Maße geschieht,
ist bislang unklar. In Mossul etwa, wo kürzlich die ersten freien
Wahlen abgehalten und ein neuer Stadtrat gewählt wurde, bestand
die Debaathisierung bislang darin, dass Beamte lediglich ein Papier
unterschreiben mussten, mit dem sie bestätigten, die Inhalte der
Baathpartei nicht zu unterstützen. In Bagdad allerdings kündigte
der neue Chef der Zivilverwaltung Bremer ein radikaleres Vorgehen an:
Alle hohen Mitglieder der Partei sollen aus dem Dienst entfernt werden.
Im Straßenbild der Städte Suleymaniah und Arbil, die seit
den Aufständen gegen Saddam Hussein 1991 unter kurdischer Selbstverwaltung
stehen, ist von ethnischen Spannungen nichts zu merken. Im Gegenteil
bestimmen arabische Besucher neuerdings das Stadtbild, abends sind die
Restaurants, Vergnügungsstätten, vor allem aber Internetcafés
voller Araber aus dem Zentralirak, die jetzt zum ersten Mal seit über
12 Jahren nach Kurdistan fahren können. "Wir hätten
niemals gedacht, dass eines Tages Suleymaniah moderner sein würde
als Bagdad", meint dazu ein kurdischer UN-Mitarbeiter. "Aber
das ist gut so und widerlegt am deutlichsten die baathistische Propganda,
wir seien ungebildet, unzivilisiert und in den Bergen lebende Stämme."
Zurück in Bagdad
Inzwischen, drei Wochen sind vergangen, ist auch Bagdad ruhiger geworden,
die Müllabfuhr funktioniert wieder weitgehend und die Stromversorgung
ist größtenteils wiederhergestellt. Die amerikanische Militärpolizei
hat ihre Präsenz verstärkt und tagsüber sind wieder fast
alle Geschäfte geöffnet. Auf Ablehnung und Unzufriedenheit
innerhalb der Ex-Opposition stößt dagegen die Entscheidung
der amerikanischen Militärverwaltung, die Bildung einer irakischen
Übergangsregierung weiter zu verzögern. Auf einer Pressekonferenz
erklärt Intifad Kanbar, Sprecher des INC, man sei zwar weiter Verbündeter
der USA, dies hieße aber keineswegs, dass man alle ihre Entscheidungen
akzeptiere. Vierhundert schwitzende Journalisten lauschen seinen Ausführungen,
die Vertreter von Al Jazeera fallen durch penetrante Fragen auf, wann
denn der Widerstand gegen die Besatzer sich organisiere. Kanbar, der
trotz der Hitze in einem schwarzen Anzug erschienen ist, bezeichnet
Al Jazeeras Berichterstattung als hochgradig unseriös und fragt,
warum der Sender keine Bilder von den gefundenen Massengräbern
zeige. Dann fährt er fort, dass so schnell wie möglich die
Macht auf die Irakis übertragen und eine Interimsregierung aus
allen Par-teien geschaffen werden müsse. Während sich die
einfachen Bagdadis vor allem um Sicherheit, Stromversorgung und die
Auszahlung von Gehältern sorgen, wächst der Unmut vor allem
der schiitischen Parteien, die im Südirak ihre Hochburgen haben.
Eine akute humanitäre Krise, erklärt Intibar weiter, drohe
bislang nicht, auch wenn die Nachrichten aus dem Süden, wo inzwischen
Cholera und andere Infek-tionskrankheiten ausgebrochen sind, die Leute
beunruhigen. Der "Süden" beginnt eigentlich schon in
den Vororten Bagdads, den von Schiiten bewohnten Slumgebieten wie Saddam
City, das inzwischen nach einem ermordeten Ajatollah in Sadr City umbenannt
wurde, oder Obeideh, wo es weder eine geschlossene Kanalisation noch
eine geregelte Müllabfuhr gibt. Geschätzte zwei Millionen
Bewohner Bagdads leben in solchen Verhältnissen. Aber trotz aller
Befürchtungen ist die Lage im Süden bislang vergleichsweise
entspannt, nur in der Stadt Kut gibt es offene Konflikte um den Posten
des Bürgermeisters. Von einer Amerikanerin, die für eine Flüchtlingshilfsorganisation
tätig ist und gerade das Land bereist, höre ich, in der südlichen
Provinz Misan sei die Stimmung gut. Dieses Gouvernement mit seiner Hauptstadt
Amara ist von Einheimischen und nicht von den Koalitionsstreitkräften
befreit worden. Die Lage dort sei allerdings katastrophal, die ganze
Region vollkommen vernachlässigt. Anders als im Norden stehe man
den Amerikanern und Briten jedoch eher skeptisch gegenüber, offene
Feindseligkeit habe sie allerdings mit wenigen Ausnahmen keine bemerkt.
Wir treffen uns zufällig in einem der Präsidentenpaläste
Saddam Husseins, der nun das Hauptquartier der amerikanischen Zivilverwaltung
ist. Saddams schlimmste Alpträume scheinen sich bewahrheitet zu
haben, sein Wahn die "Zio-Imperialisten" wollten den Irak
erobern und sich das stolze arabische Volk unterwerfen, der ihn Jahrzehnte
lang die eigene Bevölkerung als Spione vernichten ließ, hat
sich gewissermaßen seine eigene Wirklichkeit geschaffen. Die allerdings
stellt die USA und die neue Administration vor schier unlösbare
Aufgaben; nur die wenigsten Amerikaner dürften geahnt haben, was
es bedeutet, den Irak in ein demokratisches Musterland des Nahen Ostens
verwandeln zu wollen. Umso erstaunlicher scheint es manchmal, wie vergleichsweise
ruhig die ersten sechs Nachkriegswochen verlaufen sind.
Die Probleme, vor denen der neue Irak stehe, seien gigantisch, meint
auch ein Vertreter der Irakischen Kommunistischen Partei, die in Bagdad
nach Jahren der Arbeit im Untergrund wieder ihr altes Gebäude bezogen
hat, aber er sei zuversichtlich, dass es den Irakis gelingen würde,
ihr Land wieder aufzubauen und zu demokratisieren. Das Wichtigste sei
geschafft: der Sturz der Diktatur Saddam Husseins. Und ironisch fügt
ein anderer Genosse hinzu, eigentlich habe man es leicht, denn was immer
die Zukunft auch bringen möge, schlimmer als die Vergangenheit
könne es nicht werden.
Der Autor ist Mitarbeiter der im Irak tätigen Hilfsorganisation
WADI e.V, schreibt regelmäßig für die KONKRET und ist
Mitherausgeber des Buches "Saddam Husseins letztes Gefecht? Der
lange Weg in den III. Golfkrieg", Hamburg 2002
Erschienen in Risse Nr. 5 (www.risse.info)