Klinkenputzen bei Saddam
"Der Schutz der Menschenrechte ist eine Grundfrage
menschlicher Ethik. Deren Kernbestand, die universalen
menschlichen Grundrechte und -freiheiten, ist unveräußerlich.
Er kann deshalb nicht gegen andere außenpolitische
Ziele, etwa im Wirtschaftsbereich, aufgerechnet werden."
(Joseph Fischer/Rede bei der 56.Menschenrechtskommission,
Genf, 22.März 2000)
Pünktlich zum zehnten Jahrestag des Irak-Embargos
machen Frankreich, Rußland und andere Staaten Druck,
um eine Lockerung der Sanktionen zu erreichen. Es lockt
das Öl und die Chance , sich gegen die USA in Position
zu bringen.
Während die irakische Regierung eine Erfüllung der UN-Auflagen nach wie vor ablehnt und sich standhaft weigert, ein UN-Inspektionsteam zur Überwachung der Abrüstung chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen ins Land einreisen zu lassen, haben Rußland und Frankreich bereits Tatsachen geschaffen. Mitte September flogen Maschinen von Aeroflot und Air France zum ersten mal seit Verhängung des UN-Embargos wieder den Bagdader Saddam Flughafen an. Damit ist der Run auf die irakischen Märkte offiziell eröffnet. Hinter Rußland und Frankreich stehen eine ganze Reihe anderer Regierungen Schlange, um am Geschäft mit irakischen Ölförderlizenzen und Waffenlieferungen teilzuhaben. Der Irak besitzt nicht nur die zweitgrößten Erdölreserven der Welt, sondern steht bei vielen Staaten tief in der Kreide. Bereits vor Verhängung des Embargos wurden 80% der Gebrauchsgüter im Lande importiert, die im Golfkrieg zerstörte Infrastruktur des Landes hat diese Abhängigkeit noch verschärft. Die Bedingung zu dem dieser Markt jetzt verteilt wird, ist denkbar einfach: Einzige Zugangsvoraussetzung ist der Bruch mit dem Embargo. Das ist den Konkurrenten im Gerangel um das Irakgeschäft ohnehin ein Dorn im Auge. Neben Großbritannien sind die USA derzeit die letzte Stütze der Anti-Irak-Koalition. Einzig deren prinzipieller Weigerung, Saddam Hussein zu rehabilitieren, ist es zu verdanken, daß das irakische Regime noch immer international isoliert ist. Eine Irak-Lösung ohne us-amerikanische Beteiligung würde zugleich den größten Konkurrenten auf dem nah-östlichen Markt kaltstellen.
Formal
allerdings besteht kein Grund, das Embargo aufzuheben.
In dem seit Jahren anhaltenden Streit um die Inspektion
irakischer Massenvernichtungswaffen hat sich die Bagdader
Regierung wenig kompromissbereit gezeigt. Bevor das UN-Inspektionsteam
Ende 1998 endgültig des Landes verwiesen wurde, waren
seine Mitarbeiter immer wieder Drohungen und massiven
Behinderungen durch Sicherheitskräfte ausgesetzt
gewesen. Die wenigen gesammelten Informationen weisen
darauf hin, daß die irakische Produktion von chemischen
und biologischen Kampfstoffen weit fortgeschrittener ist,
als zum Zeitpunkt der Verhängung des Embargos vermutet
wurde. Seit Dezember 1998 arbeitet das als staatliches
Unternehmen zur Pestizid Produktion firmierende C-Waffen
Programm eifrig an der Rekonstruktion der einst von bundesdeutschen
Firmen errichteten Produktionsstätte im zentralirakischen
Faluja. Die dort produzierten Kampfstoffe Sarin und Vandal-X
waren in den Achtziger Jahren gegen den Iran und die irakischen
Kurden im Norden des Landes eingesetzt worden. Zusammen
mit den SCUD-Trägerraketen russischer Bauart waren
und sind sie eine Bedrohung israelischer Städte.
Derartige Erkenntnisse über frappierende Verstöße
gegen die Abrüstungsauflagen, genauso wie die Berichte
des UN-Sonderberichterstatters für Menschenrechte
im Irak, Max van der Stoel, über den systematischen
Staatsterror gegen die Bevölkerung, machen eine formelle
Aufhebung des Embargos nahezu unmöglich.
Die offensichtliche Wirkungslosigkeit der Sanktionen ist
nun, zehn Jahre nach ihrer Verhängung, zum stärksten
Argument des irakischen Regimes selbst geworden. Über
eine Million Menschen sind im Irak nach Schätzungen
der UN an den Folgen der Mangelversorgung gestorben, die
zivile Infrastruktur ist weitgehend zerstört. Das
Regime Saddam Husseins und seine Klientel aus Militär
und Mafia aber wurden durch die Sanktionen nur gestärkt,
denn das Embargo traf auf einen Staat, der auch unter
normalen Bedingungen wie im Ausnahmezustand funktioniert.
Reichtum wird im korporatistischen Irak von oben nach unten gemäß der Mitgliedschaft in Standes- und Parteiverbänden verteilt, die der herrschenden Baath-Ideologie zu folge eine "organische Einheit" mit der Bevölkerung und der arabischen Nation bilden. Praktisch sieht dies seit Dreissig Jahren so aus, daß die Schlüsselindustrien, wie die zentralen Produktionsmittel, die Außenwirtschaft und der Finanzmarkt von einer mafiösen Staatselite kontrolliert werden, während der Partei- und Sicherheitsapparat die Distribution organisiert und den Profit gegen jeden Aufruhr sichert. Die enorme Auslandsverschuldung in Folge des Iran-Irak-Krieges sowie eine Ende der Achtziger Jahre durchgeführte teilweise Privatisierung stürzte die irakische Wirtschaft und das Baath-Regime in eine tiefe Krise, die zu Massenarbeitslosigkeit und einem rapiden Preisanstieg führte. Eine sehr kleine wirtschaftliche Elite, die zumeist familiär mit dem inneren Kreis der Baath-Führung verbunden ist, übernahm die Staatsbetriebe und setzte auf eine rücksichtslose Gewinnabschöpfung aus dem Rohölexport und dem Zwischenhandel importierter Waren. Auf die Beschäftigungskrise reagierte das Regime mit gezieltem staatlichem Terror gegen die ägyptischen Arbeiter, die während des Krieges ins Land geholt worden waren. Rund 2.000 ausländische Arbeiter fielen dem Pogrom der Baath-Schlägertrupps zum Opfer. Eine andere Reaktion bestand in der raubritterartigen Einverleibung fremden Kapitals durch die Annektion Kuwaits, während derer irakische Soldaten das Land buchstäblich bis zur letzten Schraube ausplünderten. Beide Maßnahmen etablierten einen Ausnahmezustand, der durch das 1990 einsetzende Embargo nur zementiert wurde. Rund ein Drittel der irakischen Bevölkerung war schon vor Verhängung des Embargos direkt abhängig vom Verteilungssystem des irakischen Staates. Der Staatselite aus Baath-Führung und Kompradorenbourgeoisie wurde so ermöglicht, die Folgen der Krise auf den nicht verwertbaren Teil der Bevölkerung abzuwälzen und zugleich das Sanktionsregime als Verursacher der Krise zu brandmarken. Während die Wirtschaftssanktionen dieser kleinen Elite neue Möglichkeiten eröffnete, ihre Profite durch illegalen Warenverkehr und eine vollständige Marktkontrolle noch zu erhöhen, setzte das Regime das staatliche Verteilungssystem gezielt ein, um nicht verwertbare und widerständige Bevölkerungsteile auszuhungern. Viele der "Embargo-Opfer" sind aufgrund der gezielten Unterversorgung beispielsweise im Südirak gestorben, während Lebensmittel und Medikamente, wie die UN wiederholt bemängelte, in den Lagern verfaulten oder in die Nachbarländer verkauft wurden. Die erzwungene Unproduktivität der Bevölkerung zusammen mit der vollständigen Abhängigkeit vom staatlichen Verteilungssystem entspricht dem Idealfall baathistischer Herrschaftspolitik. Nach innen scheint das Regime nach zehn Jahren Embargo so gefestigt, wie niemals zuvor. Anhaltende Säuberungen und die Auflösung der Klassenstrukturen in allgemeiner Armut, haben das Widerstandspotential innerhalb der Bevölkerung weitgehend zerschlagen. Einer kleinen, extrem reichen Elite steht eine verarmte Masse von Bittstellern gegenüber, die ihr Überleben durch bedingungslose Loyalität zur Baath-Clique erkaufen.
Weniger die wirtschaftliche Notwendigkeit, als vielmehr der Wunsch, politisch zu Überleben, drängt das irakische Regime jetzt zu einer Aufhebung der Sanktionen. Während für die Hussein-Clique international kein sicherer Fluchtort mehr existiert, besteht ihre Chance nur darin, als Sieger den Konflikt zu überleben. Deshalb reicht es nicht aus, das Embargo wie bisher einfach zu unterlaufen. Es muss auf eine Weise ausgehebelt werden, die einer legitimen Rehabilitation des Regimes gleichkommt. Die Stoßrichtung aller aktuellen Versuche, den Irak zu rehabilitieren gab der deutsche ehemalige UNICEF-Leiter für den Irak von Sponeck vor, der Anfang des Jahres aus Protest gegen das Sanktionsregime zurücktrat. Neu daran war nicht die berechtigte Kritik an den Sanktionen, die seit Jahren von Teilen der irakischen Opposition und verschiedenen Hilfsorganisationen vorgetragen wird, sondern die anti-amerikanische Ausrichtung, die durch von Sponeck eine unverhoffte Prominenz gewann. In der Kritik trat an die Stelle des verbrecherischen Hussein-Regimes nun das Embargoregime, das unschuldige Menschen töte und dessen Aufrechterhaltung einzig us-amerikanischen Interessen geschuldet sei. Von Strategien, wie die irakische Regierung zu schwächen oder zu stürzen sei, ist seither keine Rede mehr.
Entsprechend
selten auch sind in letzter Zeit von europäischer
Seite Äußerungen über die Lage innerhalb
des Irak zu hören. Einzig die britische Regierung
kritisierte die massiven irakischen Militärkampagnen
gegen die Zivilbevölkerung im Süden des Landes.
Nach Verurteilungen etwa der "Säuberungswellen"
in irakischen Haftanstalten, während derer in den
vergangen zwei Jahren mindestens 2.500 Menschen ohne jedes
richterliches Urteil ermordet wurden, oder den anhaltenden
Vertreibungen hunderttausender kurdischer Bewohner aus
der Erdölstadt Kirkuk sucht man vergebens. Im Gegenteil:
Das deutsche Außenamt, das seit dem Antritt Joseph
Fischers eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik
propagiert, wußte den Asylentscheidern in seinem
letzten "asyl- und abschieberelevanten Lagebericht"
Irak noch zu erläutern, daß "vorrangig
die schlechten Lebensbedingungen viele irakische Asylbewerber
und Flüchtlinge zum Verlassen ihres Landes"
veranlassen. Die Energie, mit der bei Jugoslawien nach
Indizien für "Massaker", "Genozid"
und "Vertreibung" gesucht wurde, richtet sich
im Falle des Irak neuerdings ganz auf die Denunziation
der Sanktionen. Dort ist man auf der Suche nach Beweisen
schnell fündig geworden. Alleine schon das Fehlen
freier Internetzugänge aufgrund des Embargos, so
von Sponeck, trage zur Isolation der Bevölkerung
bei. Unerwähnt blieb, daß im September sieben
Computerexperten in Bagdad hingerichtet wurden, mit der
Begründung, sie hätten per e-mail Kontakt zum
feindlichen Ausland aufgenommen.
In diesem Kontext ist auch die Inszenierung des ersten
französischen Fluges als Menschenrechtsmission zu
sehen. Während Rußland Ölexperten und
eine Handelsdelegation nach Bagdad brachte, wartete Frankreich
mit einem zivilgesellschaftlichen Mummenschanz auf. An
Bord der Maschine waren Mitglieder des Pariser Rollerclubs,
Künstler, Friedensaktivisten und Ärzte. Angekündigt
haben sich außerdem die französische Bestsellerautorin
Regine Deforges und der Armenpriester und Antisemit Abbe
Pierre. Begrüßt wurde der Friedensflug mit
einer flammenden Rede von Iraks Innenminister Hammadi
gegen den amerikanischen "Genozid am irakischen Volk".
Hammadi selbst steht seit Jahren auf der Liste derjenigen
Verantwortlichen, die von der irakischen Opposition vor
ein internationales Tribunal gebracht werden sollen. So
traten die selbsternannten "Friedensbotschafter"
in Bagdad zu allererst als Botschafter europäischer
Kapitalinteressen auf und bereiteten zugleich den Boden
weiterer europäischer Interventionen im Irak.
Denn nicht nur ökonomisch interessiert sich die EU
für eine Wiederaufnahme enger Beziehungen zu Bagdad.
Iraker stellen seit Jahren eine der größten
Flüchtlingsgruppen in Europa, die zudem bislang nicht
rückführbar in ihre "Heimat" waren.
Dies soll sich zukünftig ändern: Auf dem EU-Rats
Sondergipfel in Tampere im Oktober 1999 wurde deshalb
der Aktionsplan Irak verabschiedet, der neben der Rückschiebung
kurdischer Flüchtlinge in den Nordirak bilaterale
Maßnahmen zur Stabilisierung des Irak vorsieht.
Da Iraker hauptsächlich als "Wirtschaftsflüchtlinge"
angesehen werden, können, so der Aktionsplan, die
"Flüchtlingsmassen" nur eingedämmt
werden, wenn sich die ökonomische Lage im Land ändere.
Unter Embargobedingungen ist dies nicht möglich.
Folglich sieht der europäische Rat "der künftigen
Wiedereingliederung des Irak in die Völkergemeinschaft
und besseren und würdigeren Lebensbedingungen für
die irakische Zivilbevölkerung erwartungsvoll entgegen."
Die andere Interessenlage der USA spiegelt sich in den jüngsten Erklärungen wider, mit denen US-Außenministerien Madeleine Albright die Aufrechterhaltung des Embargos begründet. Die Weigerung Saddam Husseins mit den UN zu kooperieren alleine verhindere eine Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen. Die irakische Regierung, so Albright, nehme die Bevölkerung "als Geisel". So nachvollziehbar diese Argumente angesichts der neuen europäischen Humanität erscheinen mögen, sie können dennoch nicht das Dilemma der amerikanischen Irakpolitik verdecken: Nach zehn Jahren Embargo immer noch keine tragfähige Alternative zu Husseins Führungsclique zu haben. Darüber kann auch die groß angekündigte Hilfe für die "demokratische irakische Opposition", die 1998 verabschiedet wurde und den wohlklingenden Namen "Iraq Liberation Act" trug. Von den seinerzeit zugesagten 97 Millionen US-Dollar wurden dem Oppositionsbündnis "Iraqi National Congress" bislang gerade vier Millionen ausgezahlt, ganze 174 Iraker wurden in Einrichtungen der US-Army in "ziviler Konfliktlösung" ausgebildet. Angesichts dieses Engagements erklärte der Vorsitzende der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) im Nordirak, Massud Barzani, lakonisch, wäre Saddam Hussein mit vier Millionen US-Dollar zu stürzen, dann hätte er es schon längst aus eigener Tasche bezahlt.
Gerade vor dem Hintergrund dieser Unmotiviertheit amerikanischer Irakpolitik finden auch in den USA neuerdings Vorstöße in Richtung einer Kompromißlösung statt. Im September demonstrierten republikanische Kongressabgeordnete vor dem Weißen Haus gegen das Embargo, während der reaktionäre außenpolitische Think Tank "Statfor-Institute" in Austin Texas bereits offen mit dem irakischen Präsidentensohn Qusay Hussein als künftigem Verbündeten liebäugelt. Sollte dieser angekündigte Kurswechsel sich mit den anstehenden Wahlen in den USA durchsetzen, dann haben die Kurden im Nordirak zum ersten mal in der Geschichte einen guten Grund um die Gesundheit des angeblich schwer krebskranken Saddam Hussein zu bangen. Wenn mit seiner Person das Embargo fallen sollte, wären auch die Stunden ihrer Selbstverwaltung gezählt.
Thomas Uwer/ Thomas v. der Osten-Sacken (WADI e.V.)
Dieser Text erschien in leicht gekürzter Fassung in konkret
1/ 2001