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Gruppenbild mit Islamisten


von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken

Als »Wandel durch Annäherung« ging in die deutsche Geschichte ein, was der Sozialdemokrat Egon Bahr 1963 in seiner Rede vor der Evangelischen Akademie in Tutzing als neue Grundlage der Ost-West-Politik definierte: Anstelle einer »Politik der Stärke« müsse auf dem Weg des Interessenausgleichs die langfristige Annäherung zum sozialistischen Ostblock treten. Unabhängig davon, ob es wirklich der von Egon Bahr und Willy Brandt angeregte Dialog oder nicht doch vielmehr die Hartnäckigkeit der USA unter der Administration Ronald Reagans war, die mit ihrer kompromisslosen Haltung dem Ostblock ein Ende bereitete, gehört das Bahrsche Konzept schrittweisen Wandels durch Dialog seit dem Fall der Berliner Mauer zum nationalen Selbstverständnis des wiedervereinigten Deutschlands. Nicht militärische Stärke, sondern wirtschaftlicher und kultureller Austausch stellten die Basis einer deutschen Außenpolitik dar, die aus der Geschichte gelernt habe. In Frage gestellt wird diese Vorstellung jedoch nicht nur durch die offensichtliche Erfolglosigkeit des »kritischen Dialogs« gegenüber Staaten wie dem Iran oder jüngst dem Irak angesichts eines drohenden Krieges. Zumal angesichts der mit dem 11. September 2001 manifest gewordenen Gefahr islamistischer Bewegungen droht mit der Bereitschaft zum Dialog vielmehr eine Öffnung für radikal antiwestliche und antisemitische Stimmen einherzugehen. Denn anders als noch im Falle der Sowjetunion, die sich auf die selben universalistischen Werte berief wie der von ihr bekämpfte kapitalistische Westen, scheint auch jene Zweckrationalität verschwunden zu sein, die den Blockkonflikt trotz der gegenseitigen atomaren Vernichtungsdrohung geprägt hat: Dass beide Seiten eine unkontrollierte Eskalation zu vermeiden suchten. Der Dialog hingegen »Partnern«, deren langfristiges Anliegen die Auslöschung bürgerlicher Gesellschaften ist, erinnert verhängnisvoll an jene Politik des Appecements, die Winston Churchil als die trügerische Hoffnung beschrieb, das hungrige Krokodil werde einen als letzten fressen, wenn man nur nett genug zu ihm ist. Welchen Preis die Annäherung an den Islamismus fordert, hat erst jüngst eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut abgehaltene Konferenz gezeigt.

Vom 17. bis 19. Februar 2004 fand dort unter Titel »The Islamic World and Europe; From Dialogue towards Understanding« eine Tagung statt, auf der neben den deutschen Nahostexperten Michael Lüders, Volker Perthes und Helga Baumgarten namhafte Islamisten wie Tariq Ramadan, Azzam al-Tamimi, Jamal al-Banna von der ägyptischen Muslim-Bruderschaft oder Skeikh Naeem Quasim von der Hizbollah auftraten. Organisiert und durchgeführt wurde die Konferenz von der Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Orient Institut in Beirut, der österreichischen Botschaft sowie dem libanesischen »Consultative Center for Studies and Documentation« (CSSD), einem »Think Tank« der islamistischen Hizbollah. Unter dem Begriff des Dialogs bot die deutsche Stiftung damit den Vordenkern eines modernen Islamismus ein Podium in direkter räumlicher und organisatorischer Nähe zur militanten Hizbollah. Auf die heftige Kritik verschiedener Organisationen, wie bspw. dem Simon-Wiesenthal-Centre, die der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgeworfen hatten, den islamischen Extremismus salonfähig zu machen, erklärte die Presseabteilung der Stiftung mit dem Hinweis, dass »nur der kritische Dialog der Strategie (dient), Wandel durch Annäherung zu ermöglichen.«

Wie diese Annäherung beschaffen ist, zeigte die Rednerliste der Veranstaltung. Mit der Ausnahme des syrischen Philosophieprofessors Tayyib Tizini, der letztes Jahr demokratische Reformen und eine Liberalisierung in Syrien forderte, nahm nicht ein einziger der liberalen islamischen oder arabischen Intellektuellen Teil, die im vergangenen Jahrzehnt eine grundlegende Kritik an den ideologischen Prämissen nahöstlicher Herrschaft formuliert haben. Stattdessen wurden zum »Dialog mit dem Islam« vorrangig Vertreter des politischen Islamismus geladen. Neben Unterstützern der Hizbollah sowie der palästinensischen Gruppen Islamischer Djihad und Hamas konzentrierte sich die Veranstaltung insbesondere auf die Vertreter eines »europäischen Islamismus«, die sich um die Herausbildung eines »modernen« Verständnisses des politischen Islam bemühen, in dem soziale und politische Forderungen gegenüber dem wahabitischen Dogma wieder stärker in den Vordergrund treten. Vorauseilend akzeptiert wurde damit nicht nur der Alleinvertretungsanspruch des politischen Islam für die rund 1,3 Milliarden Muslime weltweit, sondern auch deren politische Wirkungsmächtigkeit in den arabischen und islamischen Gesellschaften. Denn während nur ein Bruchteil der Muslime tatsächlich islamistischen Bewegungen angehört, ist deren Interpretation politischer Ereignisse nichtsdestotrotz in Teilen der nahöstlichen Gesellschaften Konsens. In Ägypten feierte eine im Staatsrundfunk ausgestrahlte 41-teilige Fernsehserie, die auf den »Protokollen der Weisen von Zion« beruht und unter anderem die antisemitische Lüge vom rituellen Verzehr nichtjüdischen Blutes erneut verbreitete, 2002 riesige Erfolge. Die Serie wurde Ramadan 2003 ebenfalls vom syrischen Staatsfernsehen ausgestrahlt und mittlerweile von über 20 anderen arabischen Fernsehstationen übernommen. Im Zentrum der islamisierten Wahrnehmung steht dabei zumeist der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sowie neuerdings die militärische Besetzung des Irak. Im Konflikt mit dem »großen und dem kleinen Satan« Amerika und Israel bietet sich die derzeit beste Möglichkeit, politische Ereignisse islamistisch zu interpretieren und an die in vielen Staaten Europas und des Nahen Ostens hegemoniale Ablehnung amerikanischer und israelischer Politik anzubinden.

So kann es kaum verwundern, dass der akademisierte »europäische Islam«, für den vor allem Tariq Ramadan aus Genf und Azzam al-Tamimi vom britischen Muslim Council werben, den Nahost-Konflikt ins Zentrum seiner Aktivitäten stellt und in einer vermeintlich moderaten Sprache für das mit den anderen Podiumsteilnehmern geteilte Anliegen eintritt. Dieser vermeintlich gemäßigte politische Islam unterscheidet sich nämlich bestenfalls in Nuancen von seinem im Nahen Osten gepredigten Pendant. So erklärte vergangenen Sommer auf einem Treffen des »Islamic Committee for Adjudicating the Sharia«, einer in Europa entstandenen Organisation, die einen modernisierten Islamismus vertritt, Sheikh Yousef al-Qaradhawi, Selbstmordattentate gegen Israelis seien nicht nur legitim, sondern die effektivste Waffe im gerechten Kampf für den Islam. Auch die USA seien ein legitimes Ziel von Anschlägen, solange sie weltweit Diktaturen errichteten, um den Islam einzudämmen. Ähnliche Vorstellungen werden nicht nur in Moscheen oder religiösen Einrichtungen von einer Fülle islamischer Intellektueller gelehrt und mit Hilfe von Geldern aus Saudi Arabien und anderen Golfstaaten in den Migrantencommunities verbreitet. In der dritten und vierten arabischen Einwanderergeneration in Frankreich und zunehmend auch in Deutschland fassen islamistische Gruppen zunehmend Fuß, indem sie einerseits die real erfahrene Marginalisierung deuten und ein erklärungsmächtiges holistisches Weltbild anbieten, in dessen Zentrum ein verschwörerischer Antisemitismus steht, der alle Ereignisse auf seine vermeintlich »wahren« Ursachen zurückführt. Im Zentrum dieses Weltbildes steht der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, der als die offensichtliche Äußerung eines grundlegenden manichäischen Konflikts verstanden wird. Durchgesetzt hat sich auf diese Weise in Europa nicht nur die Vorstellung, dass eine direkte Verbindung bestehe zwischen Muslimen weltweit und jenen in den palästinensischen Gebieten – dass also derart politisierte Muslime in Europa einen Angriff der israelischen Armee auf palästinensische Einrichtungen als einen Angriff auf sich selbst empfinden-, sondern auch, dass das Schicksal der Palästinenser ursächlich mit den Interessen von Juden weltweit in Verbindung zu bringen sei. Ein Zusammenhang, der im Zentrum des viel diskutierten Textes Tariq Ramadans stand, in dem dieser die angeblich pro-israelische Lobbyarbeit »jüdischer Intellektueller« in Frankreich angriff. Auch Azzam Al Tamimi vom britischen Muslim Council greift diesen Zusammenhang auf. Beide werben offen um eine sich islamisierende Jugend und knüpfen an die Welle von Angriffen auf jüdische Einrichtungen zum Beginn der palästinensischen Al-Aqsa Intifada an. »Die Unbeugsamkeit des palästinensischen Volkes und die Eskalation ihres Aufstandes bis zu dem Punkt, an dem Panik und Verwirrung unter den Israelis herrscht und sie ihren eigenen Staat in Frage stellen, sind klare Anzeichen, dass die post-israelische Ära vor der Tür steht.« Zu diesem Schluss kommt Azzam al-Tamimi, der auf der Konferenz der Friedrich Ebert Stiftung auf einem Podium zu »Freiheit und Menschenrechte« sprechen durfte. Dabei kehren beide eine scheinbar differenzierte Sichtweise auf den arabischen und islamischen Antisemitismus nach Außen, die nahe legt, dass ein moderner Islamismus sich durchaus mit den europäischen Gesellschaften arrangieren kann und zugleich den Hass auf Amerika und die Juden pflegt.

So hat Tamimi eine »Kritik des islamischen Antisemitismus« verfasst, die zu dem bekannten Ergebnis kommt, dass es einen solchen nicht geben könne, da die Araber doch selbst Semiten seien. Dass es gleichwohl einen Anti-Judaismus gebe, dafür trage »das zionistische Projekt die volle Verantwortung«. »Beschimpfungen und Abstempeln von Juden als Nachfahren von Schweinen und Affen, wie es oft in der arabischen Literatur geschieht, ist rassistisch, inhuman und daher auch unislamisch«, schreibt Tamimi. »Ohne die anti-jüdische Haltung vieler Muslime rechtfertigen zu wollen, verstehe ich doch, dass es gute Gründe für diese Haltung gibt.« Richtig sei vielmehr, eine klare Trennung zwischen dem jüdischen Glauben und dem »zionistischen Projekt« zu ziehen. »Muslime müssen einen rationalen und überzeugenden Diskurs entwickeln, der zu einer klaren und stichhaltigen Auffassung führt, was die Juden für uns bedeuten und welche Rolle sie in unserem Glauben und unserer Religion einnehmen. Das ist das, was die Hamas in den vergangenen 10 Jahren bereits geleistet hat.« So folgt Tamimi strikt dem klassisch antisemitischen Paradigma, wonach zuerst der Verfolger entscheidet, wer Jude ist und wer nicht. Verschont bleiben sollten Juden, wie Tamimi sie definiert, nämlich solche, die dem »zionistischen Projekt« abschwören. »Muslime sollten sich effektiv daran beteiligen, eine Lösung des Palästinakonflikts herbeizuführen«, erklärt Tamimi. »Ein Teil dieser Bemühungen muss sich gegen die jüdischen Gemeinden in der Diaspora wenden, damit sie ihre Unterstützung Israels beenden und sich von dem zionistischen Projekt abwenden.«

Ähnlich wie bei Tariq Ramadan, der auf dem Europäischen Sozialforum in Paris eine begeisterte Zuhörerschaft fand, liegt der Erfolg Tamimis darin, seinen Islamismus an antiamerikanische und globalisierungskritische Diskurse anzubinden. »Im wesentlichen ist das zionistische Projekt ein westlich-kolonialistisches Unternehmen dessen Erfolg von zwei Faktoren abhängt. Der erste Faktor ist die Wahrung eines starken und machtvollen Westens... Der zweite Faktor ist die Schwäche der Araber und Muslime, die ihrer Möglichkeiten, sich zu verteidigen, beraubt wurden.« In demselben Maße, in dem die »muslimische Welt« als Opfer der »World Order« gezeichnet wird, bietet er sie als neuen Hoffnungsträger einer gerechteren Welt an. »Offensichtlich aber wird die muslimische Welt gerade Zeuge eines massiven Erwachens, das ihre Schwäche in Stärke verwandeln wird. Wenn Araber und Muslime wieder Stärke und Vertrauen erlangen, dann wird dies einhergehen mit einem Rückzug der World Order aufgrund der schrumpfenden materiellen und militärischen Ressourcen und in Folge einer Zuspitzung des aktuellen Konflikts; dann wird auch das Ende des zionistischen Projekts gekommen sein und der Staat Israel wird aufhören zu existieren.« Verpackt in einen akademischen Diskurs formuliert Tamimi so das Programm eines weltweiten Jihad, wie es in gröberen Worten bereits von Osama Bin Laden und der Al Qaida bekannt gemacht wurde. Der Widerstand gegen eine von Israel und den Zionisten gelenkte »World Order« werde Erfolg haben, wenn es gelinge, die militärischen Kosten des Feindes durch eine Vermehrung der Konflikte zu maximieren und den Feind auf diese Weise zu schwächen. Nüchterner kann der Aufruf zum Mord kaum formuliert werden.

Gerade die vermeintlich antikapitalistische, auf höhere Werte der Menschheit sich berufende Diktion der Islamisten, die gegen »neokoloniale Ausbeutung« genauso wie gegen Umweltzerstörung protestiert, macht diese interessant für eine europäische Linke, die ihr altes Bezugssystem verloren hat. Nicht nur in Frankreich ist seit längerem zu beobachten, wie prominente Vertreter einer radikalen Linken sich dem politischen Islam zuwenden. Die von Islamisten ausgeführten Anschläge gegen us-amerikanische Truppen und sogenannte Kollaborateure im Irak stoßen in Teilen der europäischen Linken genauso auf Verständnis, wie die Selbstmordattentate palästinensischer Terroristen in Israel auch von deutschen Friedensgruppen gerne als »verzweifelter« Widerstand dargestellt werden. So las sich bereits der Brief Ussama bin Ladins, den dieser im Sommer 2002 an die amerikanische Öffentlichkeit adressierte, sieht man von der Aufforderung ab, alle Amerikaner müssten zum Islam konvertieren, wie eine Melange aus Schriften von Greenpeace, Attac oder der Friedensbewegung. Vom Kyoto-Protokoll über den Vietnamkrieg bis zu der Unterdrückung der Schwarzen in den USA wurden alle Vergehen der USA systematisch aufgelistet. Die Konsequenz ist klar: Entweder Amerika gehorcht den Aufforderungen der Al Qaida oder die Morde gehen weiter. Ganz ähnlich formuliert auch Tamimi das Programm des weltweiten Jihad. Diese spezifisch islamische Variante eines Antikapitalismus, der die hochkomplexen Mechanismen der Weltwirtschaft und die politischen Ereignisse des Nahen Ostens auf einen gemeinsamen personalen Verantwortlichen zurückführt, ist einer spezifischen Variante linker Weltwahrnehmung nur zu verwandt, die Israelis ebenfalls nur als »Zionisten«, »Imperialisten« und »Brückenköpfe« des Westens erscheinen. So ist kein Zufall, dass mit Munir Shafiq ein ehemailiger Marxist geladen war, der unter dem Einfluss der iranischen Revolution und Roger Garaudys zum Islam konvertierte, avancierte in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Ideologen des Palästinensischen Jihads und der Hamas. 1998 fiel Shafiq durch einige Artikel auf, in denen er forderte, den Begriff des Terrorismus neu zu definieren. Morde gegen Zivilisten seien »unrein«, erklärte Shafiq damals, verteidigte aber »Terrorismus« als legitime Form des Widerstandes bei »Besatzung« und als Teil einer »ideologischen und zivilisierten Mission für eine politische Alternative zu der ungerechten Politik überall auf der Welt«. Vergangenes Jahr hielt er die Eröffnungsansprache einer Konferenz über die palästinensische Intifada an der Universität Teheran. Im Abschlusscommunique der Tagung hieß es: »Die Teilnehmer dieser Konferenz halten die Vernichtung des zionistischen Regimes für die Vorbedingung der Schaffung von Demokratie im Mittleren Osten.«

Der Ägypter Jamal al-Banna, Bruder des Gründers der Muslimbruderschaft, sprach in Beirut über »Demokratie – ein flexibles Konzept«. Al Banna gilt als führender Kopf der islamistischen Bewegung in Ägypten. Banna setzte sich beispielsweise für den bekennenden Antisemiten Roger Garaudy ein und verteidigt das Konzept des Jihad in Palästina. Gleichzeitig wird auch er nicht müde, den friedlichen Charakter der Muslimbrüderschaft zu betonen; der Fanatismus einiger islamistischer Gruppen liege nicht in ihrer Ideologie begründet, sondern sei einzig das Ergebnis von Unterdrückung und Ausgrenzung.

Allen Genannten gemeinsam ist der Versuch, das Konzept des islamischen Jihad in eine zivilere Sprache zu übersetzen und so für soziale und antikapitalistische Bewegungen zu öffnen. Islamistischer Terror wird durchweg als legitime Reaktion auf Unterdrückung aus der Position der Schwäche legitimiert, während eine »gerechte Welt« nur durch eine Niederlage der »World Order« und eine Vernichtung Israels erzielt werden könne. Anschläge gegen Zivilisten werden abgelehnt, der Terror gegen Israelis, denen als Teil des »zionistischen Projekts« kein Zivilistenstatus zuerkannt wird, unterstützt. Damit benennen sie zugleich auch die Schnittmenge zwischen den arabisch-nationalistischen und islamistischen Bewegungen, die im nahen Osten in den vergangenen Jahren bis zur Ununterscheidbarkeit verschmolzen sind. In den palästinensischen Intifada-Komitees, wo Hamas und PFLP eng zusammenarbeiten, wie auch in Saddam Hussein, der einen angeblich säkularen Panarabismus mit religiösen Heilsversprechen und der Finanzierung von Selbstmordattentätern zur »Befreiung der Heiligen Städten von Al Quds« verband, hat diese unheilvolle Verschmelzung in jüngster Zeit ihren Ausdruck gefunden.

So trat auf der Konferenz im Deutschen Orientinstitut in Beirut auch ein Vertreter der »irakischen Opposition« auf. Oppositionell ist Abd al-Amir al-Rikabi freilich nur gegen das amerikanische Besatzungsregime, während er unter Saddam Hussein zu jenen Exilanten gehörte, die von der irakischen Staatsführung als genehme Opposition hofiert wurden. Nach einem Besuch in Bagdad 1992 lobte der damalige irakische Außenminister und spätere Vizepräsident Tarik Aziz den »Oppositionellen«, der eine »echte nationale Opposition« repräsentiere und nicht mit äußeren Kräften zusammenarbeite. Im Oktober 2002 wurde Rikabi mit anderen Exilirakis von Saddam Hussein persönlich nach Bagdad geladen, um dort an einer Regierung der »nationalen Einheit« zu partizipieren. Mit einer milieutypischen Hypokrisie erklärte Rikabi seinerzeit:: »Unglücklicherweise habe ich alles, was es braucht, um einer nationalen Einheitsregierung vorzusitzen. Ich bin ein schiitischer Linker, akzeptiert von der Linken, ich bin Araber, bin aktiver Schriftsteller und habe arabische Beziehungen. Ich sage ‚unglücklicherweise’, weil ich Journalist bin und kein Staatsmann. Wenn man mich aber fragt, ob ich die Aufgabe übernehmen wolle, einer Regierung der nationalen Einheit vorzusitzen, dann werde ich diese Mission erfüllen.« Selbst wenn man das amerikanische Engagement im Irak unter allen anderen Aspekten ablehnte, so müsste man doch als Segen bezeichnen, dass eine derartige Regierung unter Rikabi niemals zustande kommen konnte.

Nicht ohne Grund also kritisierte das Simon Wiesenthal Zentrum, dass mit der Konferenz »Deutschlands Legitimierung von terroristischen Gruppen (einhergehe), die Massenmord an Juden begehen, und von Ideologen, die die Flammen von Antisemitismus und Terror in Europa anfachen.« Eine Kritik, gegen die sich die Friedrich-Ebert-Stiftung verwahrte. So sei es vor dem Hintergrund, dass Israel »im ggesellschaftlichen Diskurs im Libanon« einseitig als Aggressor wahrgenommen werde, »zentrales Ziel der Konferenz, Verständnis für die israelische Erfahrung der Bedrohung und legitime Sicherheitsbedürfnisse einzufordern.« Wie ernst zu nehmen der Wunsch ist, Verständnis für israelische Positionen zu wecken, zeigt, dass ausgerechnet dieses »zentrale Ziel« im Programm der Konferenz überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Dass dies obendrein ausgerechnet mit Podiumsteilnehmern geschehen soll, die für die Vernichtung des Staates Israel eintreten, ist nur ein weiteres von vielen Mysterien des kritischen Dialogs. Aufschlussreich hingegen ist die Formulierung selbst, die von der Pressestelle der Friedrich-Ebert-Stiftung gewählt wurde. Die Rede von den »legitimen Sicherheitsinteressen« nämlich schließt die Existenz illegitimer bereits mit ein, während »Sicherheitsinteressen« aber – im Gegenteil zu »Sicherheitspolitik« – illegitim nicht sein können. Im Werben für die »legitimen« Interessen Israels ist also die Anzeige des illegitimen Restbestands bereits enthalten, wie in der ständigen Betonung seines Existenzrechts der Gedanke, Israel dürfe nicht existieren.

Der in Beirut entworfene Dialog stellte in Wirklichkeit alles andere als eine Werbung für eine friedliche Koexistenz mit dem jüdischen Staat dar. Zur Debatte standen fast ausnahmslos die großen Themen der islamistischen und panarabischen Mobilisierung im Nahen Osten und den islamischen Gemeinden Europas. Panel-Titel wie »Demokratie - ein flexibles Konzept«, »Freiheit und Menschenrechte: Individuelle versus kollektive Identität« oder »Besatzung und Widerstand: Eine differenzierte Perspektive« formulieren ein Gegenprogramm zu der Vorstellung, dass Freiheits- und Menschenrechte nicht religiös und ethnisch bedingt, sondern unteilbar und universell sind. Israels Problem mit seinen arabischen Nachbarn wie mit den islamistischen Terrorgruppen liegt aber ganz offensichtlich nicht darin, dass Demokratie bei diesen nicht »flexibel« genug praktiziert wird, sondern dass demokratische Verhältnisse bis heute in keinem arabischen Staat des Nahen Ostens auch nur ansatzweise existieren. Der kulturalistische Verweis darauf, dass es sich bei der demokratischen Staatsform und einem liberalen Rechtssystem lediglich um einen aufgezwungen Import fremder Werte handle, gehört zum Standardrepertoire nahöstlicher Ideologie, mit deren Hilfe sich Diktaturen seit vielen Jahrzehnten hermetisch gegen jede Reform abschirmen. Folgt man hingegen der Analyse, dass der antisemitische und antiamerikanische Terror der Jihadisten der ideologischen Überformung erstarrter Herrschaftsverhältnisse im Nahen Osten entspringt, die eine Besserung der Lebensbedingungen zuvorderst an die Vernichtung des Zionismus, Imperialismus, Kolonialismus - kurz: des großen und des kleinen Satans – knüpft, so wurde der »Dialog mit dem Islam« in Beirut nicht nur personell sondern auch thematisch durch eine weitgehende Annäherung an die Position des radikalen Islamismus erkauft.

So mag es eine reine Koinzidenz sein, dass die Konferenz in Beirut praktisch zeitgleich mit der europäischen Konferenz gegen Antisemitismus in Brüssel stattfand, auf der Bundesaußenminister Joseph Fischer in einer wohlklingenden aber nichtssagenden Rede den Antisemitismus verurteilte. Nicht zuletzt die Reaktion der Friedrich-Ebert-Stiftung auf die breite Kritik an ihrer Tagung macht deutlich, wie viel ernster das Problem des europäischen Antisemitismus einzuschätzen ist. Die viel kritisierte Ausrede, man habe doch nur die Politik Israels gemeint, die immer dann ins Feld geführt wird, wenn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich in die Nähe antisemitischer Deutungen begeben haben, kann aller Armseligkeit zum Trotz als eine Art Lakmustest für die Funktionsfähigkeit der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Antisemitismus gelten. Solange es noch als wenigstens peinlich empfunden wird, antisemitischen Propagandisten in der Öffentlichkeit zu nahe zu kommen, scheint wenigstens noch ein Konsens darüber zu existieren, dass derartige Kontakte unziemlich sind. Nach der bereits im Vorfeld laut gewordenen Kritik hat sich eines der mitveranstaltenden Institute aus Frankreich aus der Tagung in Beirut zurückgezogen. Der Friedrich-Ebert-Stiftung hingegen scheint die Kritik an der Beiruter Konferenz völlig unverständlich zu sein. Unbeirrt haben sich die deutschen Nahost-Experten zum Gruppenbild mit Islamisten zusammengefunden. Solange aber die deutsche, und ihrem Schlepptau die europäische Außenpolitik, den Dialog mit dem radikalen politischen Islamismus sucht und fördert, bleiben Verurteilungen des wachsenden Antisemitismus in Europa Makulatur.


Erschienen in: Frankfurter Jüdische Presse, Pessach 2004


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