zurück


Saddam Hussein bekam fairen Prozess

von Thomas Schmidinger

Im Sommer 2004 war ich gerade bei einer Familie im nordirakischen Halabja eingeladen, als plötzlich alle gebannt auf den Fernseher starrten, in dem sie Saddam Hussein beobachten konnten, wie er erstmals vor seinen Richter treten musste. Der gestürzte Diktator bestand darauf, vom Giftgasangiff auf Halabja erst aus den Medien erfahren zu haben.
Die Spannung im Raum war körperlich spürbar. Hier saßen Überlebende des Giftgasangriffs, die Brüder und Schwestern, Freunde und Verwandte verloren hatten. Und diesen Menschen flößte der Mann, der hier vor seinem Richter stand, immer noch Angst ein. Falah, der selbst als Kind vor dem Giftgas in die Berge geflüchtet war und sich wochenlang in einer Höhle vor der irakischen Armee versteckt hielt, erklärte mir damals, wie sehr er sich freue, dass dieser Mann sich vor einem Gericht verantworten müsse, meinte aber, dass Saddam den Menschen im Irak so lange Angst einflößen würde, solange er am Leben sei.

Mehr als zwei Jahre später wurde Saddam Hussein von diesem Gericht zum Tode verurteilt. Seine Opfer feierten in den Straßen. Für sie wird der Tag eine ähnliche Bedeutung haben, wie für die Überlebenden der Shoah der 15. Dezember 1961, der Tag, an dem Adolf Eichmann von einem israelischen Gericht zum Tode verurteilt wurde.

Meine grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe kann mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass für viele Opfer Saddam Husseins dieses Urteil Anlass zur Freunde ist. Wichtiger als der Ausgang dieses ersten Prozesses ist jedoch, dass der neue Irak trotz schwierigster Umstände bewiesen hat, dass er willens ist, ein rechtsstaatliches Verfahren gegen die Täter von einst durchzuführen und nicht einer Rache-Justiz das Wort zu reden. In einem Staat, der seit drei Jahren von Terror, Gewalt und der Herrschaft von Milizen und Warlords geprägt ist, ist es eine nicht zu unterschätzende Willensbekundung, eine funktionierende Staatlichkeit mit einer rechtsstaatlich funktionierenden Justiz aufzubauen. Die Richter in Bagdad haben es angesichts der alltäglichen Unsicherheit im Lande bedeutend schwerer als die Richter in Nürnberg, ein einwandfreies Verfahren zu führen. Angesichts der Umstände ist ihnen dies jedoch in bemerkenswerter Weise gelungen. Der Angeklagte verfügte über eine professionelle Verteidigung und konnte es sich sogar herausnehmen, das Gericht öffentlich zu beschimpfen.

Wichtiger als der Ausgang des Verfahrens wird es sein, die Angeklagten nun auch für ihre anderen Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen und die für die Zukunft des Irak notwendige umfassende juristische Aufarbeitung der Massaker an Kurden und Schiiten, der Folterungen und Hinrichtungen politischer Gegner und schließlich auch der Giftgasangriffe gegen unschuldige Zivilisten zu ermöglichen.


Thomas Schmidinger ist Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien und Vorstandsmitglied des österreichisch-irakischen Freundschaftsvereins Iraquna.


Artikel erschienen am 08. November 2006 in der Wiener Zeitung


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: