Fischer in Washington
Deutsches Denken
von thomas uwer und thomas v.d.
osten-sacken
Es
ist der Logik der Verhältnisse geschuldet,
dass Außenminister, wenn sie einmal das
Richtige sagen, es aus den falschen Gründen
tun. So resultierte Joseph Fischers verdruckstes
Eingeständnis, "wir haben die USA nicht
zu kritisieren" vorige Woche auch nicht aus
späten Erkenntnissen über das Wesen
seines Amtes, sondern es folgte tagespolitischem
Kalkül.
In den USA indes hat man nicht vergessen, welche
Rolle Deutschland bei der Ausrüstung des
Irak mit jenen Massenvernichtungswaffen spielte,
denen die Inspekteure der Vereinten Nationen bis
heute vergeblich nachjagen. Über 1 000 Anfragen
US-amerikanischer Nachrichtendienste an das Auwärtige
Amt allein Ende der achtziger Jahre belegen, wie
gut deutsche Behörden Bescheid wussten über
die von deutschen Ingenieuren aufgebaute so genannte
staatliche Pestizidproduktion im Irak. Schon Jahre
zuvor, im Mai 1982, hatte ein Preussag-Ingenieur
die deutsche Botschaft in Bagdad um Hilfe gebeten,
weil ihn die Tatsache beunruhigt hatte, dass die
vermeintlichen Insektengifte an Eseln erprobt
wurden. Statt einer Ermittlung erfolgte seine
Entlassung.
Als dann die ersten Strafprozesse in der BRD begannen,
war es längst zu spät. Das mit deutschen
Hermeskrediten finanzierte Gas hatte bereits Zehntausende
das Leben gekostet. Doch nicht nur der weltweit
bislang einmalige Giftgaseinsatz gegen die eigene
Zivilbevölkerung ist ein Produkt deutsch-irakischer
Kooperation, auch die Technologie, mit der die
Reichweite irakischer Scud-Raketen bis nach Israel
verlängert werden konnte, hat der Irak deutschen
Ingenieuren zu verdanken. Nicht der Person Fischers
also, sondern dem Außenminister Deutschlands
verbietet sich jede Kritik an der Politik der
USA.
Wer aber die Verhältnisse als falsche aus
dem Blick verloren hat, dem bleibt zum Verständnis
von Fischers Aussagen nur dessen Persönlichkeit
- nicht seine Rolle als Vertreter von Interessen,
sondern als Spiegel kollektiver Befindlichkeit.
Mehr als die Sache selbst grämt die deutschen
Kritiker deshalb Fischers vermeintlich unterwürfige
Haltung, die sein Amtsvorgänger Klaus Kinkel
als "Kuschen gegenüber den Amerikanern"
bezeichnete.
Ähnlich kommentierte die junge Welt: "Der
deutsche Außenminister spricht der deutschen
Außenpolitik das Recht auf eine von den
US-Positionen abweichende Meinung ab und unterstellt
das Außenamt damit praktisch dem State Department."
Und auch beim Spiegel meint man, "wenn ein
neuer US-Präsident einen Luftangriff inszeniert,
dann sollte selbst ein deutscher Außenminister
seine Zurückhaltung aufgeben. Und ein Grüner
allemal."
In der taz schließlich gab Bettina Gaus
einen semantischen Hinweis auf jenes unheimliche
Kollektiv, das sich im Fall Fischer einmal mehr
zusammenschließt. "Wir haben es nicht
zu kritisieren: so spricht der Untertan."
Das Wir, von dem Gaus spricht, ist jene Ansammlung
nationaler Moralisten, deren heutiges Friedensgefasel
mindestens so unerträglich ist wie ihr Bellizismus
während des Kosovo-Krieges. Die Enttäuschung
darüber, dass der Angriff auf militärische
Anlagen des Hussein-Regimes ohne deutsche Tornados
vonstatten ging, rationalisiert sich in der Wut
auf den Außenminister, der wegen seiner
Vergangenheit "erpressbar" (taz) sei.
Dass man die Bedürfnisse dieses Kollektivs
im Auswärtigen Amt sehr wohl kennt und auch
in der Krise zu bedienen versucht, zeigt die Erklärung
einer Sprecherin, die beteuerte, bei der Bombardierung
am Wochenende sei an den Schutz der nordirakischen
Kurden gedacht worden. Den aber hatte die US-Regierung
gar nicht im Sinn. Ebensowenig wie die persönliche
Vergangenheit Fischers übrigens - im Unterschied
zu der seines Ministeriums und dessen Klientel.
In jungle world 10/2001 v. 28. 02. 2001