zurück

"Es gibt mehr als die Aghas rauszuschmeißen"


Interview mit Mitgliedern einer südkurdischen Bauernbewegung

In lrakisch-Kurdistan spielt die Rauernbewegung aufgrund der völlig ungeklärten Landfrage eine besondere Rolle. Sie tritt dementsprechend radikal auf. Im südlichen Teil der Region, dem Soran, haben sich unter dem militärischen Druck der Feudalherren viele Bauern zu bewaffineten Verbänden zusaminengeschlossen. Immer wieder ist es zu hetigenAuseinanderseizungen zwischen Bauern und Aghas (Großgrundbesitzern) gekommen. Seit 1993 entzündeten sich an diesen Landkonflikten immer wieder offene Auseinandersetzungen zwischen den kurdischen Paneien, weil beide Seiten versuchen, sich uner den Schutz einer Partei zu stellen. In einigen Regionen des Sorans konnten die Bauernkomitees die Feudalherren besiegen und vertreiben. Anfang 1995 hat die Bauemhewegung nach langen Diskussionen eine eigene Partei gegründet. Ob dies ein richtiger Schritt war bleibt abzuwarten. Die kurdischen Rauernkomittees stellen sich bewußt in die Tradition der linken Bauembewegung und -gewerkschaft im Gesamtirak. Für dessen städtische Regime stellte die Rauernbewegung schon immer einen Risikofaktor dar. Die extreme Polarisierung zwischen Stadt- und Landbevölkerung infolge einer rasanten Modernisierung des lraks hafte schon vor der Revolution von 1958 dazu geführt, daß administrative Schritte in den ländlichen Gebieten oft nur polizeilich und militärisch durchgeführt werden konnten. Unter dem Einfluß der kommunistischen Massenbewegungen gründete sich Ende der fünfziger Jahre eine gesamtirakische Bauerngewerkschaft.

Im Sommer 1995 wurde die unaghängige Bauernbewegung militärisch zerschlagen; sie konnte sich seitdem nicht reorganisieren

 

Interview mit Mitgliedern des regionalen Komitees (Region Pishder)
der Bauernbewegung in Quala Dize


Das folgende Interview führte Thomas Uwer, Mitarbeiter von WADI im Herbst 1994.


Ich habe schon viel von der unabhängigen Bauernbewegung gehört. Bei Kämpfen mit den Großgrundbesitzern hier in Qala Dize, in Shamschamal, in Darbandikhan, ist die Bewegung immer wieder in Erscheinung getreten. Wie kann man sich diese Organisation der Bauern vorstellen?

B: Zuersteinmal sollte es niemanden verwundern, daß in Kurdistan gerade die Bauern anfangen sich zu organisieren. Denn einerseits waren die Bauern immer der harte Kern der Aufstände, da wir immer in besonderem Maße unterdrückt wurden. Von der Zeit der Monarchie her bis heute, sind wir Opfer gewohnt. Deshalb haben wir Bauern im Kampf seit 1975 die meisten Opfer gebracht. Ohne uns hätte es die Intifaza nie gegeben.
Andererseits wurden die Hoffnungen der Bauern nach der Befreiung bitterst enttäuscht. Viele Menschen in Kurdistan sind deprimiert über die politische Lage, aber vor allem über die wirtschaftliche Situation. Wir aber mußten feststellen, daß unsere alten Unterdrücker, die Aghas (Großgrundbesitzer) plötzlich wieder zurückgekehrt waren. Die selben Aghas, die in der Saddam-Zeit schon maßgeblich an der Unterdrückung der Bevölkerung beteiligt waren.

Wann brach der Konflikt zwischen Euch und den Aghas erneut aus?

B: Die meisten von uns lebten seit der Dorfzerstörung in Sammelstädten. Als wir nach der Befreiung in unsere Dörfer zurück wollten, waren die Aghas schon dort. Wir wurden mit Gewalt daran gehindert in unsere Dörfer zurückzukehren. Sie verweigerten uns unser Land. Deshalb mußten wir etwas unternehmen.

Eure Organisation wurde also als Reaktion auf das Verhalten der Aghas gegründet?

B: Ja und Nein. Nein, weil es wesentlich mehr zu tun gibt, als nur die Aghas rauszuschmeißen. Ja, weil sie der Auslöser waren. Wir hätten keine eigene Organisation gegründet, wenn die Parteien uns damals Rückendeckung gegeben hätten. Wir haben an das kurdische Parlament geglaubt und glauben auch jetzt noch daran. Die Parteien aber haben nie die Interessen der Bauern vertreten. Wenn sie sich jetzt darüber ärgern, daß es eine unabhängige Bewegung gibt, dann ist das Kinderei. Das sind sie so gesehen selbst schuld.
Die Bauernkomitees sind die wichtigste Stütze der Bauern in den meisten Regionen. Hier in der Pishder haben wir fast alle Aghas rausgeworfen. Sie sitzen jetzt an der iranischen Grenze und unternehmen immerwieder militärische Aktionen gegen einzelne Dörfer. Mittlerweile haben sie vereinzelt sogar begonnen die Felder zu verminen. Deshalb ist die Bauernbewegung lebensnotwendig für die Dörfer. Über die dörflichen und regionalen Komitees wird die Verteidigung der Dörfer aufgeteilt; wenn ein Dorf angegriffen wird, bekommt es Unterstützung aus den anderen Dörfern.

Wie lief die Organisierung genau ab und wie seit ihr jetzt organisiert?

B: Als immer mehr Bauern hier in die Pishder zurückkamen und die Probleme größer wurden mit den Aghas, haben wir uns in mehreren Dörfern, aber vor allem hier in Qala Dize, zusammengesetzt. Wir haben Briefe an das Parlament geschrieben und versucht eine Öffentlichkeit für das Problem zu schaffen. Dann kam es aber zu immer heftigeren Konflikten. Die Aghas setzten Waffen ein, um Bauern daran zu hindern in ihre Dörfer zurückzukehren. Deshalb haben wir angefangen Waffen an die Bauern zu verteilen. Unsere Vertreter sind in die Dörfer der Pishder gegangen und haben mit den Bauern geredet. Danach wurden überall Versammlungen abgehalten; später (Anfang 93) eine große Versammlung, wo aus jedem Dorf der Pishder zwei oder drei Vertreter da waren. Wir haben ein Komitee gewählt. Das gleiche geschah auch in anderen Regionen und wir konnten im April 1994 eine Art Kongreß machen, mit Bauern aus allen Teilen Irakisch-Kurdistans. Seitdem gibt es die Organisation der Bauernbewegung.

Wie haben Parlament und Parteien darauf reagiert?

B: Anfangs haben sie überhaupt nicht reagiert, nur die linken Parteien. Die Kommunistische Partei und die Arbeiterpartei, auch die PKK, haben uns unterstützt, obwohl wir von anfang an klar gemacht haben, daß wir nicht der Bauernverein einer dieser Parteien werden wollen. Wir haben dann Druck auf das Parlament ausgeübt. Als Ergebnis hat die Regierung am 19.5.94 einen Beschluß veröffentlicht, nach dem alle Bauern das Recht haben in ihre Dörfer zurückzukehren und alle Bauern Felder erhalten. Die Aghas haben diesen Beschluß ignoriert, d.h. sie haben uns mit Gewalt daran gehindert in unsere Dörfer zurückzukehren. Deshalb gab es dann den Ärger.
Die beiden großen Parteien haben nicht direkt interveniert, indirekt aber machen sie Politik gegen uns. Sie haben die Bauernbewegung nie als eine parteiunabhängige Interessenvertretung akzeptiert; entweder du gehörst zu einer Partei, oder du bist nicht existent. Sie haben viele Aghas in ihren Reihen und vertreten deren Interessen. Gleichzeitig haben sie mittlerweile erkannt, daß ihnen die Bauern davonlaufen. Jetzt versuchen sie die Bauern wieder zu binden. Wer das nicht mit sich machen läßt, bekommt ganz andere Seiten zu spüren. Spätestens seit dem Bürgerkrieg haben wir überhaupt kein gutes Verhältnis mehr zu den Parteien.

Der Bürgerkrieg dieses Sommers hat hier in Qala Dize begonnen, angeblich als Aghas der KDP ihre Besitzansprüche mit Gewalt durchsetzen wollten und die PUK für die Bauern interveniert hat...

B: Das ist nicht ganz richtig. Es gibt soviele Darstellungen über den Beginn des Konfliktes, daß einem richtig schwindlig werden kann. Aber wahr sind sie meistens nicht. Wir wissen, daß nicht nur die KDP, sondern auch die PUK Aghas in ihren Reihen hat und sie auch massiv unterstützt. Der Kampf der Bauern war nicht der Auslöser des Krieges, ganz im Gegenteil. Während des Konfliktes haben wir wiederholt versucht die Vermittlerrolle zu spielen zwischen den Parteien. Wir sind sogar mit einer Delegation zu den Islamisten gelaufen. Wir sind gegen diesen Krieg, weil wir wissen, daß es ein reiner Machtkonflikt zwischen den beiden Parteien ist, die es beide nicht fertiggebracht haben in den vergangenen Jahren irgendein politisches Programm aufzubauen. Der Konflikt spielt sich nicht nur auf militärischer Ebene ab. Es ist ein psychologischer, finanzieller und militärischer Krieg. Wir haben damals die Bauern dazu aufgerufen sich nicht an den Kämpfen zu beteiligen. Viele Bauern haben tatsächlich den Krieg verweigert, was unser Ansehen bei den Parteien nicht gerade gefördert hat.

Ihr sagt, daß es noch andere Dinge für Bauern zu tun gibt, als sie gegen die Aghas zu verteidigen, was meint ihr damit?

B: Aufbau der Dörfer und Rückkehr der Bauern haben absolute Priorität. Aber immernoch sind grundlegende Rechte nicht geklärt. Offiziell besteht in Kurdistan das Landwirtschaftsreformgesetz aus dem Irak noch weiter fort . Im Alltag aber wird es nicht durchgesetzt. Die Durchsetzung des Landwirtschaftsreformgesetzes ist ein wichtiger Schritt für uns, da es eine relativ progressive Regelung der Landverteilung darstellt.
Gleichzeitig wollen wir mehr, als nur das bestehende Gesetz reaktivieren. Die landwirtschaftliche Produktion darf, nach der Erfahrung die wir mit dem Baathstaat gemacht haben, nicht im vollen Besitz des Staates sein. Dörfer und Kommunen sollen über die Art und Weise der Produktion entscheiden. Letztenendes war das wohl auch der entscheidende Punkt, an dem das Gesetz gescheitert ist im Irak.

Welche Rolle spielen Ideen von Kollektiv- oder Kolchoswirtschaft?

B: Ein wichtiger Programmpunkt der Baath-Partei war die Verstaatlichung des Bodens und die Förderung von Kooperativen, was generell ja sehr progressiv ist. Das Gesetz wurde aber nur selektiv durchgeführt, die Kooperativen der Partei unterstellt und Bauern vertrieben. In Kurdistan hat man trotz Kooperativen politisch das alte Feudalsystem unterstützt. Viele Bauern haben deshalb eine Abneigung. Dennoch spielen solche Überlegungen eine wichtige Rolle, es wird viel darüber diskutiert. Auch in der Praxis wird ansatzweise kooperativ gewirtschaftet. Bauern, die nicht in der Lage sind die Ernte einzubringen bekommen die Felder von der Dorfgemeinschaft bewirtschaftet. Der Häuserbau, die Organisation der Ernte und die militärischen Aufgaben werden von den Dorfkomitees als kollektive Aufgaben verstanden. Das ganze aber wird von einem viel dringlicheren Problem überschattet. Im moment stellen die Aghas die größte Gefahr für uns dar und viele Dörfer leben noch heute unter der Knute ihrer Feudalherren. Deshalb gehören diese Ideen in Kurdistan noch der Zukunft.

Welche Rolle spielen Stammesbindungen noch in Kurdistan?

B: Die Stammesbeziehungen stellen ein großes Problem dar. In unseren Augen dienen sie nur dazu, die Bauern klein zu halten und abhängig zu machen. Bauern, die ihre Ernte zurückfordern werden von den Aghas mißhandelt, ihnen wird die Nase abgeschnitten. Die Stammesbindungen hindern sie daran, sich zur Wehr zu setzen. Dennoch haben viele Bauern auf Kongressen immer wieder klargemacht, daß sie nicht wollen, daß bewaffnete Bauern aus einer anderen Region bei ihnen intervenieren. In diesen Fällen ist die Stammesbindung immer noch stärker als der Wunsch sich von den Feudalherren zu befreien. Schon die Baath-Partei hat dies benutzt: Wenn sie einen Stammeschef auf ihre Seite ziehen konnten, waren sie sich der Gefolgschaft des ganzen Dorfes gewiß.
Die kurdischen Parteien benutzen diese Bindungen genauso. Wir sind absolut gegen diese Art der Stammesbeziehungen; die Bauern leiden unter den Aghas, nicht unter anderen Stämmen - im Südirak genauso wie in Kurdistan. Daß wir das erkannt haben, ist vielen hier ein Dorn im Auge.

Habt ihr Kontakt zu anderen sozialen Bewegungen?

B: Wir versuchen immer wieder Kontakte auch in die Städte zu knüpfen, da wir unser Problem nicht als ein spezieles Problem der Bauern begreifen. Soziale Problemgruppen werden von den Parteien nicht vertreten und wer gehört in Kurdistan nicht zu einer Problemgruppe? Deshalb ist es wichtig, daß sich soziale Gruppen nach ihren Interessen organisieren. Wir wissen zB daß die Lehrer in den Städten unglaubliche Probleme haben, mit ihren monatlichen 200 Dinar zu überleben. Deshalb haben wir einen Teil der diesjährigen Weizenernte der Komitees an die Lehrer hier in der Stadt verteilt. Das reicht natürlich nicht aus.
Wir haben an einem Kongreß über die Situation der Frauen in Kurdistan teilgenommen und einen Aufruf an das Parlament gerichtet, endlich die Rechte der Frauen in Kurdistan zu garantieren. Wir können uns aus diesen Problemen nicht raushalten, auch wenn wir nur Bauern sind.


(dieses Interview erschien in gekürzter Form in Blätter des iz3w, Nr. 205, April/ Mai 1995)


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: